Die Nacht im Stau (German Edition)
sicher nicht, versucht sie ihr heftig schlagendes Herz zu beruhigen.
Sven hat nicht zu viel versprochen. Zunächst beginnt der letzte Satz mit einer Art Trauermarsch, der jedoch von fröhlichen Hüpfern durchbrochen wird. Eine Prozession? Schmachtende Melodien folgen, danach slawische Tänze? Wenn sie doch nur nachfragen könnte.
Wie schön es ist , Sven von der Seite anschauen zu können, jetzt, wo er sich ganz der Musik hingibt. In aller Ruhe kann Sonja erneut sein Gesicht studieren, während sie den Tönen lauscht. Auf einmal, so als ob er es gemerkt hat, blinzelt er mit den Augen und schaut zu ihr herüber. Schnell wendet sie den Blick ab.
„Aushaltbar?“, fragt er.
„Ein Genuss.“
Es ist ihre ehrliche Meinung. Und da gibt es wirklich Menschen, die mit dieser Art von Musik nichts anzufangen wissen?
Jetzt wird die Musik so leise, dass sie kaum wagt zu atmen. In die angespannte Ruhe hinein ein harter Schlag auf das Becken! Sonja zuckt zusammen. Noch einmal erklingen düstere, aggressive Töne, wieder ebbt die Lautstärke ab, um sich dann plötzlich noch ein letztes Mal aufzubäumen, aufpeitschend und beruhigend zugleich.
Und schließlich: Ruhe.
„Bo h!“, stößt Sven hervor. Er schüttelt fassungslos den Kopf und sie sieht, wie er sich eine Träne aus den Augen wischt.
In diesem Augenblick setzt frenetischer Applaus ein. Beide sitzen wie gebannt, lauschen dem aufbrausenden Orkan von Tausenden von Händen. Dann drückt Sven auf die Aus-Taste. Minutenlang herrscht absolute Stille.
Sonja spürt Svens Ergriffenheit, ihr geht es nicht anders.
„Ich danke dir“, unterbri cht sie schließlich die Stille. „Ohne dich hätte ich diese Musik niemals so intensiv kennen gelernt.“
„Nein, ich danke dir“, erwidert er und räuspert sich. „Du hast mir das heute hier ermöglicht.“ Er pausiert und schaut sie ernst an. „Vor allem aber habe ich durch dich eine neue Erfahrung machen dürfen. Es war wunderschön, das Konzert mit dir zusammen zu erleben, zu genießen.“
Sie ist sprachlos und verwirrt. Was genau bedeuten diese Worte? Was will er ihr damit sagen?
Genau in diesem Augenblick hören sie es beide: Das Kling Kling von Sonjas Handy: eine neue SMS ist eingetroffen. Parallel dazu setzt ein mehrfaches Hupen ein, eindeutig nur einige Hundert Meter hinter ihnen entfernt.
„Oh, Mist.“ Sven seufzt . „Ausgerechnet jetzt kommen die Streufahrzeuge. Die Mittelgasse wird freigemacht.“ Er greift nach hinten um seine Jacke zu holen. „Ich muss jetzt schnell jemanden finden, der mit mir zusammen mein Auto an den rechten Seitenstreifen schiebt“, sagt er, während er sich abmüht sich im engen Auto anzuziehen. „Schade, dass ich ausgerechnet jetzt raus muss. Aber wir haben später bestimmt noch genügend Zeit, um über das Konzert zu sprechen. Sofern du das überhaupt möchtest“, schiebt er nach und schaut sie fragend an.
„Und ob ich das will! Ich hoffe nur, ich weiß nachher noch all die Fr agen, die ich dir stellen will.“
„ Ach, das glaub ich schon.“ Sven zwinkert aufmunternd mit den Augen. „Also, dann. Drück mir die Daumen.“
D eutlich spürt Sonja, wie schwer es ihm fällt jetzt zu gehen. Die Ergriffenheit nach dem Konzert, dieses herrliche Gefühl der Nähe, des gemeinsam Erlebten ist mit einem Mal abrupt zerstört worden.
Sobald Sven die Tür von außen zugedrückt hat, nimmt sie ihr Handy aus der Tasche und schaut auf das Display. Wie nicht anders erwartet, ist die SMS von Robert.
‚ Wie geht es meiner armen Maus‘, schreibt er. ‚Hab im Radio gehört, dass das DRK u Einsatzkräfte mit Tee usw. unterwegs sind. Halte durch!‘
Sonja ist noch so aufgewühlt von dem soeben gehörten Konzert, dass ihr überhaupt nicht der Sinn nach Robert oder der Beantwortung seiner SMS steht. Ihr Verlobter, das geplante Versöhnungswochenende, das nun definitiv ins Wasser fällt, all das ist mit einem Mal so weit weg. So, als ob es ein Leben vor und nach diesem Konzert gibt. Das Konzert, das sie soeben gehört hat, diese Musik, dadurch hat sich etwas in ihr verändert.
Sonja lauscht in sich hinein. Vielleicht liegt es ja gar nicht an der Musik allein, vielleicht liegt es eher daran, dass sie das Konzert mit Sven gehört hat? So, wie er das seinerseits als neue Erfahrung beschrieben hat?
Und wenn dem so wäre, was hat das dann zu bedeuten? Wie soll es weiter gehen? Sie will sich nicht wieder so verrennen wie damals, bei Dieter. Doch allein der Vergleich ist lachhaft! Hier und
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