Die Nacht, in der er zurueckkehrte
Obwohl er bezweifelte, dass Easton etwas essen würde. Er selbst würde vermutlich auch keinen Bissen hinunterbekommen. Doch aus Erfahrung wusste er, dass es manchmal half, etwas Anständiges zu essen. Dann sah die Welt nicht mehr ganz so trostlos aus.
Er packte Sandwiches, geschnittenes Gemüse, Obst und Wasser in eine Tasche, die er an den Sattel binden konnte, dann griff er nach seiner Baseballmütze, die am Haken neben der Tür hing, und lief zum Pferdestall.
Es war schon eine Weile her, seit er auf einem Pferd gesessen hatte. In Bogotá gab es wenig Gelegenheit dazu. Das letzte Mal musste nach Jos Beerdigung gewesen sein. Da hatte er sich eins der Pferde genommen und war tief ins Hinterland geritten, um ein paar Tage allein zu sein.
Diesmal wählte er Russ, sein Lieblingspferd, einen kräftigen braunen Wallach. Kurze Zeit später folgte er dem Pfad, den Easton genommen hatte.
Wie er das vermisst hatte. Er konnte sich kaum ein größeres Vergnügen vorstellen, als über einen sonnenbeschienenen Waldpfad zu reiten, während die Vögel zwitscherten und der Wind in den Zweigen rauschte. Vermutlich könnte er es noch mehr genießen, wenn er nicht so besorgt um Easton wäre.
An der Weggabelung folgte er dem Pfad, der zur Hochweide führte. Entlang des Flussufers waren Sandsäcke aufgeschichtet, und soweit er es überblicken konnte, hielten sie die schnell fließenden Wassermassen in Schach.
Von Easton war jedoch keine Spur zu sehen. Er blickte sich um, doch bis auf ein paar Erdhörnchen, die auf den Sandsäcken herumtollten, schien die Hochebene verlassen.
Eigentlich hatte er sie hier auch gar nicht vermutet. Instinktiv wendete er Russ und kehrte zu der Weggabelung zurück. Nun bemerkte er auch die Hufspuren, die ihm zuvor gar nicht aufgefallen waren. Sie führten in die andere Richtung, hoch in den Canyon.
Er wusste genau, wo sie war. Es gab gar keine andere Möglichkeit.
Der Pfad führte direkt zum Windy Lake und zu der kleinen Hütte am Ufer, die er und seine Ziehbrüder vor Jahren gebaut hatten. Die Hütte hatte ihnen als Unterstand bei ihren nächtlichen Angelexpeditionen gedient.
Wenn er traurig gewesen war oder ein Problem zu bewältigen hatte, war er immer zu diesem Ort geritten. Auch nachdem Guff gestorben war.
Und dort hatte Easton ihn gefunden.
Als der im Sonnenlicht schimmernde See in sein Blickfeld kam, schienen die ruhelosen Geister in seinem Innern sich seufzend schlafen zu legen.
Die Hufspuren führten eindeutig in diese Richtung, doch er konnte weder Easton noch Lucky oder Jack entdecken. Er blickte sich suchend um. Schließlich sah er den Grauschimmel auf einer Blumenwiese neben einer Espengruppe stehen.
Da war das Pferd, aber wo war Easton? War sie gestürzt und womöglich verletzt? Von Panik ergriffen spurtete er auf Lucky zu. Er würde es nicht ertragen, wenn ihr etwas passiert wäre.
Jack kam mit lautem Gebell auf ihn zugerast, als wolle er ihn auffordern, wegzubleiben, was Cisco noch mehr ängstigte. Erst als sie bei Lucky ankamen, entdeckte er Easton.
Er konnte förmlich den Stein plumpsen hören, der ihm vom Herzen fiel. Sie saß auf dem abgewinkelten Ast einer Espe, der eine natürliche Bank bildete. Vor Jahrzehnten, als der Baum noch klein gewesen war, hatte er sich vermutlich wegen der Schneelast im Winter gekrümmt. Danach war die Espe gerade weitergewachsen, doch die Krümmung war geblieben. Cisco hatte es schon immer faszinierend gefunden, wie Bäume sich der Witterung anpassten.
Er sah, dass sie geweint hatte.
„Wieso bist du mir nachgeritten?“, fragte sie mit resignierter Stimme. „Ich denke, du müsstest doch am ehesten Verständnis dafür haben, wenn jemand allein sein möchte.“
Er kratzte sich die Wange. Sie hatte recht, das musste er zugeben. Er selbst hatte sein Bedürfnis nach Alleinsein immer heftig verteidigt. „Tut mir leid, aber ich habe mir Sorgen gemacht. Du kamst mir so verstört vor, dass ich dich lieber nicht allein lassen wollte.“
„Ich bin nicht allein, Jack und Lucky sind bei mir.“
„Du weißt schon, was ich meine.“
Sie zupfte an der Espenrinde und mied seinen Blick. „Ich verbringe mein ganzes Leben allein, seit Jo tot ist. Ich komme ganz gut mit mir selbst zurecht.“
Er runzelte die Stirn und wunderte sich nicht zum ersten Mal, weshalb sie nie geheiratet und Kinder bekommen hatte. Sie verdiente es, eine glückliche Familie zu haben, auch wenn der Gedanke daran ihm das Herz zerriss.
Was für ein selbstsüchtiger Trottel er
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