Die Nacht, in der er zurueckkehrte
war. Einerseits wünschte er ihr ein glückliches Leben, konnte aber den Gedanken nicht ertragen, dass sie mit jemand anders glücklich war. Diesmal war er es, der den Blick abwandte. Sein Blick fiel auf einen Wildblumenstrauß, den sie anscheinend gerade gepflückt hatte.
Er lag unter einer benachbarten Espe. Als er den Blick an dem Baum hochwandern ließ, glaubte er am Stamm eingeritzte Buchstaben zu erkennen.
Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie ihr Blick unruhig wurde.
„Was steht denn da?“, fragte er und trat näher, um besser zu sehen.
Rasch stand sie auf und stellte sich vor die Espe.
„Nichts“, sagte sie. „Übrigens liegen in der Hütte immer noch eure Angelruten, falls du Lust zum Angeln hast.“
Ein gelungenes Ablenkungsmanöver, nur leider schmerzte ihn seine Wunde dermaßen, dass er sich fragte, ob es eine gute Idee war, mit dem Pferd den holprigen Pfad hochzureiten.
„Hast du da was eingeritzt?“ Er versuchte, die Zeichen hinter ihrem Rücken zu entziffern. „Guff hätte dir was erzählt. Du weißt, dass er uns immer Vorträge gehalten hat, wir sollen den Wald respektieren und nichts in die Bäume ritzen, weil dann Bakterien in den Stamm eindringen können.“
Sie erwiderte nichts, sondern sah ihn nur mit einem beinahe trotzigen Blick an.
„Lass mich doch mal sehen“, drängte er. „Es sieht aus wie eine Gedenktafel. Ist es für Jo und Guff?“
„Geh weg, Cisco. Ich will dich nicht hierhaben.“
Ihre Worte schmerzten ihn mehr als jeder Messerstich. Was seltsam genug war, denn schließlich war er nicht Teil ihres Lebens. Das hatte er ihr klar und deutlich zu verstehen gegeben. Konnte er es ihr verdenken, wenn sie ihn jetzt wegschickte?
Beinahe hätte er ihre Ablehnung akzeptiert, wäre auf sein Pferd gestiegen und den Hügel wieder hinabgeritten. Doch irgendetwas verleitete ihn dazu, ihr Geheimnis zu lüften. Er spürte, dass der Baum Teil der Traurigkeit war, die sie umgab.
„Komm, ich will sehen, was da steht.“
„Nein.“
Sie starrte ihn mit regloser Miene und leerem Blick an. Jack fing an zu winseln, als spürte er die Spannung. Plötzlich, als Cisco gerade überlegte, ob er sie wegdrängen sollte, trat sie beiseite.
Die Schrift war nicht in die Baumrinde eingeritzt, sondern in ein kleines Messingschild, das am Baumstamm befestigt war.
Chance del Norte
1. März 2005
Mein Herz
Er stand reglos da, während sich in seinem Inneren eine kalte Wüste ausbreitete.
„Was ist das?“
Sie sagte nichts, sondern hockte sich neben Jack und kraulte ihm das Fell.
„Easton, rede mit mir, zum Teufel noch mal. Wer ist Chance del Norte?“
Sie sah unbeschreiblich zart und schön aus, doch als sie zu ihm aufblickte, lag in ihren Augen ein unsäglicher Schmerz.
„Unser Sohn“, flüsterte sie.
Cisco knickte regelrecht mit den Knien ein, etwas, das normalerweise nur in Büchern oder Filmen passiert. Er musste sich an dem rauen Espenstamm festhalten, um nicht ins Wanken zu geraten. „Unser … Sohn?“
Sie nickte. „Er hatte dunkles Haar, den ganzen Kopf voll, und ein Grübchen im Kinn. Ich glaube, er hätte später genau wie du ausgesehen.“
„Mein Sohn.“
Wie konnte das sein? Er erinnerte sich an die Nacht, die sie zusammen hier in der Hütte verbracht hatten, als sie sich in ihrem Schmerz über Guffs Tod gegenseitig trösteten.
Da hatte er ein Kondom benutzt, das wusste er ganz genau.
Zumindest beim ersten Mal …
Er schloss die Augen, als ihm der Augenblick in den Sinn kam, als sie sich in der Nacht einander zudrehten und ihre Leidenschaft von Neuem erwacht war.
Danach war sie vollkommen entspannt in seinen Armen eingeschlafen, und er hatte ihren leisen Atem an seiner Haut gespürt. Er erinnerte sich auch an seine Schuldgefühle, weil er zu weit gegangen war. Es nagte bis heute an ihm. Sie war so süß und unschuldig gewesen, und er hatte es ausgenutzt.
Zitternd holte er Luft. „East. Warum hast du mir nichts davon erzählt?“
Ihr Mund fing an zu zittern, und sie biss sich schnell auf die Lippe. „Warum hätte ich das tun sollen?“ Sie sprach leise, und jedes Wort war für ihn wie ein Fluch. „Du warst ja schon weg, bevor ich aufgewacht bin. Es war doch klar, dass du mich nicht mehr sehen wolltest.“
Nein. Oh nein. Wie hatte sie so etwas denken können? Er hatte die ganze Nacht wach gelegen und sie im Arm gehalten, bis die Morgenröte am Himmel zu sehen war. Und es hatte ihm das Herz zerrissen, dass er nicht bleiben konnte. Aber es konnte keine
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