Die Nacht, in der er zurueckkehrte
Rücken gestärkt.
„Die Stichwunde stammt von einem kolumbianischen Drogenboss“, sagte Cisco abrupt. Die Worte wurden herausgestoßen wie Felsbrocken, die in den Abgrund stürzen. „Ich bin Drogendealer.“
9. KAPITEL
Alles Mögliche hatte Easton erwartet, aber nicht das. Einen Moment lang hielt sie vor Entsetzen den Atem an, ehe sich ihre Vernunft und ihr gesunder Menschenverstand wieder zu Wort meldeten.
Nein, das konnte nicht sein. Obwohl er es mit Überzeugung gesagt hatte, war sie absolut sicher, dass er die Unwahrheit sprach.
Der Gedanke war tröstlich und herzerwärmend. Was auch immer er tat, sie kannte ihn bis ins tiefste Innere, auch wenn sie hin und wieder an ihm gezweifelt hatte. Cisco war kein Mann, der aus der Notlage anderer Menschen Profit schlug.
Sie drehte sich ihm zu und sah ihn direkt an. Instinktiv griff sie nach seinem Arm mit dem Windrosen-Tattoo. „Nein, das bist du nicht. Und jetzt erzähl mir die Wahrheit.“
An seiner Miene war zu erkennen, dass er sich ertappt fühlte. „Wie kommst du darauf, dass ich dir nicht die Wahrheit gesagt habe?“
„Weil ich dich kenne. Den wahren Cisco. Das Image von dem rastlosen Abenteurer, das du in den letzten Jahren aufgebaut hast, ist falsch. Ich weiß zwar nicht, weshalb du so stur daran festhältst. Du bist ein guter und anständiger Mensch, Cisco. Ein Mann, der alles stehen und liegen lässt und zum Totenbett seiner Pflegemutter eilt. Der sich um ein Waisenkind kümmert, obwohl er selbst schwer verwundet ist. Der um ein Kind weint, das er nicht einmal gekannt hat.“
Er sah sie lange an, während die Wasseroberfläche in seinen braunen Augen reflektierte. Dann nahm er ihre Hand und blickte wieder über den See. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, während der laue Wind das Wasser kräuselte und in den Espenzweigen wisperte. „Ich bin wirklich Drogendealer“, sagte er schließlich.
„Cisco!“
„Zumindest habe ich die letzten zehn Jahre unter diesem Deckmantel gearbeitet. Unter anderem.“ Er umfasste ihre Hand fester. „Das dürfte ich dir gar nicht erzählen, East, weil es zu gefährlich ist.“
„Du hast mir doch noch gar nichts erzählt.“
Er seufzte, und nach einigem Zögern gestand er ihr: „Ich arbeite für das Rauschgiftdezernat, als verdeckter Ermittler.“
Natürlich. Sie schloss die Augen. Natürlich!
So viele Dinge ergaben plötzlich einen Sinn. Seine Geheimnistuerei, der gehetzte Ausdruck, der manchmal in seinen Augen aufflackerte, und die Schwierigkeit, ihn aufzufinden, wenn man ihn dringend erreichen musste. Warum hatte sie das nicht schon viel früher erkannt? Plötzlich kam sie sich unglaublich dumm vor, weil sie die vielen Anzeichen nicht beachtet hatte.
All die versteckten Anspielungen kamen ihr in den Sinn, und sie war beinahe sicher, dass Brant und Quinn längst etwas ahnten. „Warum hast du das immer verschwiegen?“, flüsterte sie. „All die Jahre, als Jo und ich krank vor Sorge um dich waren?“
„Ihr habt euch zu Recht Sorgen gemacht.“ Seine Stimme klang kalt und schneidend. „Es ist die Hölle. Ein guter Ermittler macht sich seine Rolle zu eigen. Man kann es beschönigen und mit einem höheren Ziel rechtfertigen. Aber die brutale Wahrheit ist, ich trete als Drogendealer und Waffenhändler oder noch Schlimmeres auf. Was auch immer mein Job gerade von mir verlangt.“
Mit düsterer Miene blickte er über den See. „Ich muss schreckliche Dinge tun. Am Ende werden dann vielleicht ein paar Drogenbosse aus dem Verkehr gezogen, aber immer gibt es dabei auch unschuldige Opfer. Menschen wie John und Soqui. Oder Belle, die nun ohne ihre Eltern aufwachsen muss.“
Das Herz zog sich Easton wehmütig zusammen, als sie an das kleine Mädchen mit den großen Augen und dem süßen Lächeln dachte.
„Haben die beiden auch mit dir gearbeitet?“
Ein Schatten lief über sein Gesicht. „John auf jeden Fall. Er war einer der Besten. Klug, einfallsreich, mit einer unglaublichen Intuition. Bis El Cuchillo, der Boss eines Kokainkartells, dahinterkam, dass er nicht der war, der er vorgab zu sein. Bevor John starb, wurde er brutal gefoltert, aber er hat sich bis zum Schluss geweigert, seinen Partner zu verraten. Mich.“
Sie nahm seine Hände fest in ihre und lehnte den Kopf an seine Schulter. „Und Soqui?“
„Es war die große Liebe. Als Soqui schwanger wurde, hat John sie heimlich geheiratet, obwohl er dadurch gegen die Regeln des Dezernats verstoßen und unseren Einsatz gefährdet hat.
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