Die Nacht in Issy
zu welchem Zweck?
Als ich das nächste Stück, die Akte »Mignard«, durchgesehen hatte, glaubte ich zu wissen, was Monsieur Mompard in dem Haus gesucht hatte, und wer so sehr daran interessiert war. Nun waren also glücklich drei hinter diesem Aktenstück her: Ich, Pierre, beziehungsweise Labourusse, und — natürlich — Mignard selber. Er hatte sicherlich den Detektiv genommen.
Es handelte sich um Papiere, aus denen klar hervorging, daß Mignard während der Besatzungszeit über Labourusse große Geschäfte mit den Deutschen gemacht hatte. Geschäfte, die auch damals alles andere als sauber gewesen waren. Er mußte ordentlich daran verdient haben, wenn auch nicht soviel wie Alexandre oder Labourusse. Und Mignard war heute noch der Bevollmächtigte für Fragen der Schwerindustrie. Eine Veröffentlichung dieser Akten hätte ihn nicht nur Stellung und Vermögen, sondern auch den Kopf gekostet.
Nun begann ich eine neue Theorie aufzubauen:
Wenn Francois tatsächlich mit dem Mord nichts zu tun hatte, dann konnte es Mignard gewesen sein. Vielleicht hatte Alexandre ihn erpreßt, und es war Mignard zuviel geworden? Oder Mignard hatte sich mit Labourusse geeinigt, um den lästigen Dritten auszubooten? Das alles waren Möglichkeiten, die verfolgt werden mußten. Ich war längst nicht mehr so hoffnungslos wie heute morgen.
Draußen auf dem Korridor wurden Schritte laut. Ich hörte ein hartes Frauenlachen und eine sonore Männerstimme.
Eine Tür schlug zu.
5
Ich legte die Papiere aufs Bett und verriegelte die Tür. Dann setzte ich mich wieder aufs Bett, zündete mir noch eine Zigarette an und schlug den grünen Aktendeckel auf, auf den Alexandre mit seiner stilisierten Schrift »Prozeß Jean« geschrieben hatte.
Es fing an mit einer Abschrift der Anklage. Ich kannte sie genau, aber ich las sie durch, als hätte ich sie noch nie gesehen.
»Am Morgen des 2. November 1943 wurde der Hausbesitzer und Antiquitätenhändler Jean Baptiste Bouchard, geb. am 6. Mai 1879 in Fontainebleau, im Alter von 64 Jahren bei Ausübung der Jagd erschossen. Den Ermittlungen des Staatsanwalts zufolge ergibt sich folgende Situation:
Die Jagd fand etwa acht Kilometer von Fontainebleau auf einem Grundstück statt, das Eigentum des Getöteten ist und in dortiger Gegend >Roche de Milly< genannt wird. Der Getötete fuhr am Morgen des 2. November etwa um sechs Uhr mit seinen beiden Söhnen Jean B., geb. 18.7.1911, und Alexandre B., geb. 9.9.1913, mit seinem Kraftwagen von Paris nach Fontainebleau, um auf Hasen zu jagen. Es waren am Tage zuvor Treiber für diesen Zweck aus F. und Umgebung bestellt worden — «
Oh, wie genau ich mich an jenen Morgen erinnere! Vater hatte trotz des Krieges die Erlaubnis zur Jagd bekommen, und wir hatten unterwegs in Melun gefrühstückt. Er hatte seine alte Schrotflinte mitgenommen, ein zweiläufiges Modell. Alexandre und ich trugen stolz unsere Drillinge, die wir zu Weihnachten des vorigen Jahres bekommen hatten. Es waren beides die gleichen Modelle mit zwei Schrot- und einem Kugellauf.
Wir hatten beide, Alexandre und ich, auch den Kugellauf geladen, da wir hofften, vielleicht ein Wildschwein zu sehen.
Wir hatten uns verteilt, Vater ging in der Mitte, ich links und Alexandre rechts von ihm. Die Treiber begannen mit ihrem Lärm, und ich hatte bereits drei Hasen geschossen, als ich plötzlich rechts vor mir einen harten Knall hörte. Es kam mir gleich sonderbar vor. Da war ein Kugellauf abgeschossen worden. Ich dachte zuerst, Alexandre habe das Glück gehabt, ein Wildschwein vor den Lauf zu bekommen. Und dann fand ich Vater. Er lag vornüber auf dem Gesicht. Ich schrie aus Leibeskräften um Hilfe. Alexandre kam herbeigerannt.
»Vater ist tot! — Vater ist tot!« hatte ich geschrien.
»Um Gottes willen!« hatte Alexandre gerufen, »Jean! Wie war das möglich! Jean!«
»Ich — ich weiß nicht!« hatte ich gesagt.
»Hast du ihn für ein Wildschwein gehalten, Jean?« fragte mich Alexandre, und mir erstarrte das Blut in den Adern. Er glaubte, ich hätte geschossen.
»Ich habe überhaupt nicht geschossen, Alexandre!« rief ich verzweifelt.
Mittlerweile waren die Treiber herangekommen und umstanden den Toten, der von hinten erschossen worden war.
Auf einmal zog mich Alexandre am Ärmel zur Seite. Er hatte sein Gewehr umhängen und meins in der Hand.
»Jean«, sagte er und schaute mich ernst an, »aus deinem Kugellauf ist geschossen worden. — Er ist leer.«
Ich nahm den Drilling und starrte ihn an. Ich
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