Die Nacht in Issy
Lieber. Der Mann, der den Wagen hinunter fuhr, das war nämlich ich.«
Er schüttelte den Kopf.
»Keine Ahnung«, sagte er, »wovon du sprichst.«
»Es wird dir schon noch dämmern. Das Dumme an der Sache ist nur, daß sie deine Pistole bei mir gefunden haben, sonst wäre ja alles in Butter. Ich kann es dir zwar noch nicht nachweisen, aber das wird mir auch schon noch glücken.«
Es sah aus, als wolle er sich auf mich stürzen.
»Sei friedlich, Francois«, sagte ich, »ich schieße durch die Tasche, wenn’s sein muß.«
»Mach, was du willst«, sagte er und trat einen Schritt zurück, »aber was du da redest, ist Mist. Ich habe ein gußeisernes Alibi für die vergangene Nacht.«
»Ach du lieber Gott«, machte ich, »wer von euch hat das nicht?
- Aber reden wir von etwas anderem. Nicht einmal Geld hab’ ich bei ihm gefunden; scheint bargeldlosen Verkehr vorgezogen zu haben. Du könntest mich wenigstens zu einem Taxi einladen.«
Wir gingen nebeneinander her. Jeder von uns war vor dem anderen auf der Hut; im Grunde war die Situation ungefährlich.
Wir hielten ein Taxi an und ließen uns in die Stadt zurückfahren. Auf der Fahrt sprachen wir wenig und nur ein paar belanglose Sachen.
»So«, sagte ich, als wir an der Ecke Rue de Vaugirard und Rue des Fourneaux angekommen waren, wo Gustave wohnte, — »so, ich werde jetzt aussteigen, und du fährst noch ein Stückchen
weiter. Ich wohne nicht bei Gustave, aber ich möchte eine ruhige Nacht haben.«
Er gab keine Antwort. Ich klopfte an die Scheibe und ließ halten. Dann stieg ich aus und wartete, bis das Taxi verschwunden war. Ich war nun sehr neugierig, zu sehen, was ich in dieser Nacht erobert hatte. So rasch ich konnte, ging ich in die Rue Bonaparte zu Constance.
Unterwegs kaufte ich einer Blumenfrau einen Strauß blutroter Nelken ab und besorgte eine Flasche »Grand Napoléon« sowie Schinken, Butter, Eier und Brötchen.
Als ich später noch an einem Telefon vorbeikam, verspürte ich nicht wenig Lust, Germaine anzurufen. Ich hätte ihr allerhand zu erzählen gehabt. Dann aber dachte ich, es sei wohl doch schon zu spät, und hob mir diese Freude für morgen auf.
Das Haus in der Rue Bonaparte war dunkel, nur im zweiten Stock, wo Constance und die anderen wohnten, war noch Licht. Ich schloß die Haustür auf und stieg die Treppe hinauf. An der Wohnungstür war ein Messingknopf mit einem Ring. Ich drehte ihn, und die Tür ging auf. In dem langen Korridor brannten zwei Birnen; sie waren verstaubt und hatten höchstens fünfzehn Watt.
Ich schlich auf den Zehenspitzen zu Constances Tür und kam mir hier viel mehr wie ein Einbrecher vor als vorhin in Issy. Ich lauschte an der Tür, und als ich nichts hörte, trat ich ein. Das Zimmer war leer. Hatte ich etwas anderes erwartet?
Ich suchte einen Lichtschalter, fand aber keinen und tastete mich bis zum Bett vor, wo ich die Nachttischlampe einschaltete. Als ich mich umdrehte, steckte ein Mädchen den Kopf durch den Türspalt.
»He, Constance! — Oh — pardon!«
Sie verschwand.
Ich sah einen Zettel auf dem Nachttisch. Es war Constances Kinderschrift.
»Gute Nacht, Süßer!«
Das war ein Liebesbrief. Es war der erste ehrliche Liebesbrief, den ich in meinem Leben bekommen hatte.
Ich stellte die Nelken in den Waschkrug und legte mein Paket auf den Tisch. Dann suchte ich einen Korkzieher, fand ihn in einer Schublade der Waschkommode und machte die Flasche »Grand Napoléon« auf. Nachdem ich drei Gläser hintereinander getrunken hatte, setzte ich mich auf den Bettrand und holte alles aus den Taschen, was ich in Issy mitgenommen hatte. Ich tat dies in der Reihenfolge des Interesses, das diese Dinge für mich hatten, wobei ich für eine Steigerung sorgte, indem ich das Unwichtigste zuerst nahm. Es waren Alexandres goldene Manschettenknöpfe.
Dann zählte ich das Geld. Es waren fast achtzigtausend Francs. Gott sei Dank! Nun hatte ich Luft für die nächste Zeit. Nun hätte ich mir sogar Papiere kaufen können. Allerdings war es eine Frage, ob mir Pierre jetzt noch dazu verhelfen würde.
Als nächstes schaute ich mir die Brieftasche an, die ich dem Mann draußen abgenommen hatte. Sie enthielt ganze sechzig Francs, ein paar Kassenzettel, eine Mitgliedskarte von einem Tennisklub und einige leicht angeschmutzte Visitenkarten.
Paul Mompard
Privatdetektiv
Rue de Valenciennes 17, Tel. XI 387
Ich mußte unwillkürlich lachen. Armer Kerl!
Aber wer hatte wohl einen Privatdetektiv in Alexandres Haus geschickt? Und
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