Die Nacht in Issy
mir ans Fenster.
»Wissen Sie denn nicht«, sagte sie, »daß keine Frau vor ihm sicher war? Daß er jede bekam, der er versprach, sie zu heiraten?«
»Nein, das wußte ich nicht.«
»Mir hat er es auch einmal versprochen — vor langer Zeit. Aber ich bin froh, daß er nicht mein Mann wurde.«
»Warum?« fragte ich und schaute sie scharf an. »Warum waren Sie noch jetzt mit ihm zusammen?«
Sie schüttelte den Kopf und blickte ebenfalls zum Fenster hinaus. Dann aber wandte sie sich mir wieder zu.
»Können Sie sich das wirklich nicht denken?«
Ich wollte eben antworten, trat aber rasch vom Fenster weg. Ich hatte den Wagen erkannt, der unten durch das Gartentor fuhr.
»Kennen Sie Labourusse?« fragte ich hastig.
»Nur flüchtig. Ich traf ihn einmal bei Alexandre.«
»Er ist eben gekommen«, sagte ich, »vermutlich wird er zu Ihnen wollen. Ich möchte ihm nicht in die Arme laufen und — ich möchte von ihm nicht hier gesehen werden.«
Sie hatte sofort begriffen.
»Dort hinein!« sagte sie und öffnete eine schmale Tapetentür. »Sie können hier warten oder auch gehen, wenn Sie wollen.«
Ich folgte in ihr Schlafzimmer.
»Soll ich gehen, Germaine?« fragte ich.
Sie schaute mich nicht an, als sie sagte:
»Das müssen Sie selbst wissen. — Übrigens kann ich mir nicht denken, was Labourusse von mir will.«
»Ich mir schon«, bemerkte ich, »lassen Sie wenigstens die zweite Tasse verschwinden, und leeren Sie den Aschenbecher aus.«
Sie blickte mich an, als sei sie über meine Regieanweisungen erstaunt. Dann aber nickte sie und zog die Tür hinter sich zu.
Ich hatte Zeit, mich in ihrem Schlafzimmer umzusehen.
Sie hatte ein breites Bett aus hellem Kirschbaumholz, einen breiten, nicht sehr hohen Kleiderschrank, und eine moderne, niedrige Frisiertoilette. Ein fast ebenso breites Fenster wie im Wohnzimmer stand halb offen.
Ich schaute vorsichtig hinunter und sah unten den Cadillac stehen. Der Rothaarige stand daneben und rauchte eine Zigarette. Es wäre für mich kaum möglich gewesen, unbemerkt hinauszukommen. Aber ich hätte auch gar nicht den Versuch gemacht; denn ich war sehr neugierig, was Labourusse von ihr wollte.
Ich hegte schon Befürchtungen, er könne in diesem Hause etwas anderes vorgehabt haben, als ich die Klingel hörte. Ich ging sofort zu der Tür, die auf die Diele führt und hörte Labourusses Stimme.
»Guten Tag, Mademoiselle! — Sind Sie allein, oder störe ich?«
»Ich bin allein, und Sie stören nicht«, erwiderte sie.
Ich wechselte meinen Platz und lauschte an der Tapetentür.
Sie traten ins Wohnzimmer, und Germaine sagte:
»Ich habe gerade gefrühstückt. Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?«
»Danke, nein!« Er hatte eine klare, aber leider nicht sehr laute Stimme; ich mußte mich höllisch anstrengen, um jedes Wort zu verstehen.
»Sie kommen sicherlich wegen Alexandre«, wollte sie wissen.
»Erraten!« gab er zur Antwort. »Es ist eine verdammt unangenehme Sache. Dieser widerliche Narr ist hinter uns her. Er war doch auch bei Ihnen?«
»Sie meinen Jean Bouchard?«
»Ja. Er bildet sich ein, den Mörder Alexandres finden zu müssen. Er hat sich das großartig ausgedacht. In Wirklichkeit will er nur mit den Papieren ein gutes Geschäft machen.«
»Meinen Sie?« fragte Germaine. »Ich dachte, er wollte wirklich — «
»Blödsinn«, unterbrach er sie grob, »er lügt das Blaue vom Himmel herunter. Er weiß ganz genau, wer Alexandre erschossen hat.«
»Wer Alexandre — aber — wissen Sie es denn?«
Ich hörte, daß ein Stuhl geschoben wurde, und dann hörte ich Schritte.
Labourusse wanderte auf und ab.
»Also, Kindchen«, sagte er, »wir wollen uns mal im Interesse des Geschäfts nichts vormachen, ja? Die Lage ist verwickelt genug. Daß Sie ihn endlich umgelegt haben, nehme ich Ihnen nicht weiter übel, in gewissem Sinne haben Sie sogar — «
»Ich?« hörte ich Germaine rufen. Es klang wie ein Hilfeschrei.
»Na, wer denn sonst? Jean war’s bestimmt nicht. Dazu ist er viel zu blöd und viel zu gerecht.«
Er lachte belustigt auf, dann fuhr er fort:
»Dieser fromme Hohlkopf hat einen Gerechtigkeitsfimmel oder so was Ähnliches. Wahrscheinlich hätte er versucht, seinen Bruder für die Heilsarmee zu gewinnen; aber erschossen hätte er ihn niemals. Yvette steckte auch in der Tinte; aber das haben wir inzwischen in Ordnung gebracht. Und daß Ihnen die Sache irgendwann einmal zuviel werden würde, war ja vorauszusehen. Ich warnte Alexandre immer wieder, es nicht
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