Die Nacht in Issy
es, was mich erledigt. Wenn mich die Polizei in die Finger bekommt, wird man mir kein Wort glauben, wenn ich Yvette erwähne.«
»Und der Mann, der ihr geholfen hat?«
»Als Zeuge?« fragte ich. »Gut, er wird zugeben, daß er für Yvette gearbeitet hat. Und Yvette wird zugeben, daß sie ein Verhältnis mit Alexandre hatte und daß es ihr unangenehm war, wenn es herausgekommen wäre. Jeder Richter in Paris wird dafür Verständnis haben.«
Sie schwieg lange Zeit.
Auf ihrem Schreibtisch sah ich einen Stoß Zeitungen liegen. Ich dachte an unser erstes Gespräch am Samstag, als sie behauptet hatte, von allem nichts zu wissen. Gestern, in Fontainebleau, hatte sie sich nicht mehr verstellt; sie hatte zugegeben, von den Machenschaften ihres Vaters gewußt zu haben, und sie wollte die Akten haben. Was verschwieg sie mir wohl jetzt noch?
»Sie sagten gestern«, unterbrach ich das Schweigen, »daß Sie mich der Polizei übergeben würden, wenn ich nochmals käme. Warum haben Sie die Polizei nicht angerufen? Sie hatten doch Zeit dazu?«
Sie schüttelte nur den Kopf und schwieg.
»Vielleicht wegen der Papiere?« fragte ich. »Halten Sie mich für den Mörder — oder nicht?«
»Nein«, erwiderte sie gequält, »ich glaube nicht, daß Sie es waren. Ich war gestern so nervös. — Und die Papiere — Sie müssen selber entscheiden, was Sie damit machen wollen.«
»Sie sind das einzige Mittel für mich, vorerst noch in Freiheit zu bleiben. Man wollte mich heute nacht deshalb umbringen.«
Nun blickte sie mich wieder an. Ihre Augen waren ein wenig zugekniffen, und auf ihrer Stirn stand eine Falte, die ich nun schon an ihr kannte.
»Wer war es?« fragte sie.
Ich lächelte bösartig.
»Wer? Entweder Labourusse oder Monsieur Mignard. Die einzigen beiden, die ein Interesse daran haben.«
Ich sah sie fest an.
Nun funkelten ihre Augen voller Zorn.
»Sie glauben doch nicht im Ernst, daß mein Vater zu solchen Mitteln greifen würde.«
»Ich kenne ihn nicht«, wich ich aus, »aber ein Mensch, der seinen Kopf retten will, ist zu vielem fähig.«
»Das stellen Sie blendend unter Beweis«, sagte sie.
»Würden Sie sich töten lassen?« fragte ich. »Würden Sie einen Mord auf sich sitzen lassen? Würden Sie nicht kämpfen?«
Wieder schwieg sie eine Weile, und ich ließ ihr Zeit. Endlich begann sie:
»Ich glaube, wir kommen so nicht weiter. Sie nicht — und für mich ist es gräßlich. Ich habe versprochen, Ihnen zu helfen. Aber Sie müssen mir sagen, was ich tun soll.«
Ja, das war die Frage, auf die ich selber keine Antwort wußte. Das war die Frage, die mich seit zwei Tagen nicht mehr zur Ruhe kommen ließ. Das war die Frage, auf die es vielleicht überhaupt keine Antwort gab.
»Ich habe keine große Hoffnung mehr«, seufzte ich, »man wird mich erwischen, und dann ist alles aus. Vielleicht noch heute, vielleicht erst morgen oder übermorgen. Kann sein, auch erst in zwei oder drei Wochen; — aber eines Tages werden sie mich schnappen. Ich weiß nicht, wie lange ich das aushalte.«
Ich saß, während ich das sagte, ein wenig vornübergebeugt und hatte meine Ellenbogen auf die Knie auf gestützt; meine Hände waren nicht weit von ihr entfernt.
Nun beugte auch sie sich vor und legte ihre Hand auf die meine.
»Sie sind nicht nur gekommen, um mir das zu sagen, was Sie bisher sagten. Da ist noch etwas, was ich nicht weiß. Wollen Sie weiter schweigen?«
Sie zog ihre Hand wieder zurück, aber nun griff ich danach und hielt sie fest.
»Ich muß alles wissen«, bat ich, »alles von Ihnen, von Alexandre und von Ihrem Vater.«
Sie zuckte zurück und entriß mir ihre Hand.
»Ah —!« rief sie heftig, »Sie suchen immer noch bei uns! Wie oft soll ich Ihnen noch versichern, daß mein Vater mit dem Mord nichts zu tun hat — nicht das geringste!«
»Vielleicht«, widersprach ich kühl, »wissen Sie auch nicht alles, was in den Papieren steht. — Aber Sie haben recht — so kommen wir nicht weiter.«
Ich stand auf und trat ans offene Fenster.
»Wußten Sie«, fragte ich und schaute auf die Autos, die unten parkten, »wußten Sie, daß Alexandre Sie betrog?«
»Ja«, hörte ich sie leise sagen.
»Wußten Sie, daß es Yvette Mueller war?«
»Sie war es nicht allein.«
Ich fuhr herum. Sagte sie dies nur, weil ich vorhin damit geblufft hatte?
»Was«, rief ich, »nicht allein? Ja — Himmel, Herrgott — wer noch alles hatte denn Grund, eifersüchtig zu sein? Ich kann doch nicht alle — «
Sie stand auf und trat zu
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