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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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verarbeiten. — Ich wollte weiter hören, nur hören, hören!
    »Gut«, sagte sie endlich, »ich werde es versuchen. Aber nur unter einer Bedingung.«
    »Natürlich«, versprach er ölig, »Sie haben das Recht, Bedingungen zu stellen. Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich möchte, daß Sie ihm die Flucht ins Ausland ermöglichen, falls er — falls er die Papiere aus der Hand gibt.«
    Labourusse lachte.
    »Kann er haben, darauf kommt’s mir weiß Gott nicht an. Ist mir sogar lieber so. Dann haben wir die Gewißheit, daß er hier keinen allzu großen Wirbel mehr macht.«
    »Sie versprechen mir das?« fragte sie.
    »In die Hand!« versicherte er.
    Ich hörte wieder einen Stuhl rücken; wahrscheinlich stand sie auf.
    »Gut«, wiederholte sie, und es klang sehr entschlossen, »ich will es versuchen.«
    »Sie sind ein kluges Mädchen«, lobte er, »wir werden künftig nicht schlecht miteinander auskommen.«
    »Mag sein! Aber es wäre mir lieber, wenn Sie nun gingen.«
    »Selbstverständlich. «
    Sie verließen das Wohnzimmer. Ich schob mir rasch einen kleinen, hellblau gepolsterten Sessel ans offene Fenster, durch das die Sonne hereinschien. Dann setzte ich mich so, daß mein Gesicht in der Sonne war, und schloß die Augen, obwohl ich nicht glaubte, daß Germaine auf diesen albernen Trick hereinfallen würde.
    Sie kam direkt von der Diele aus herein. Ich rührte mich nicht, hatte die Augen geschlossen und atmete regelmäßig mit etwas geöffnetem Mund.
    Ich merkte, wie sie noch in der Tür stutzte, dann hörte ich sie leise näherkommen.
    Ihr Schatten huschte über mein Gesicht, und ich murmelte: »Alles steht unten, wir können gleich fahren — «, und dann seufzte ich ein wenig und erwachte langsam.
    »Oh, Verzeihung!« stammelte ich und bemühte mich, aufzustehen. »Entschuldigen Sie, ich war eingeschlafen. — Oh, mein linkes Bein!«
    Ich humpelte ein paar Schritte und bildete mir ein, ihr ein bühnenreifes Solo vorzuspielen.
    »Ist er schon wieder weg?«
    Ich kratzte mich am Kopf und lachte.
    »So bin ich — ich hätte an der Tür lauschen sollen! Was wollte er denn von Ihnen?«
    »Er — er fragte mich, ob ich wüßte, wo Sie sind. Er — er sagte, er wolle mit Ihnen sprechen.«
    Wir gingen ins Wohnzimmer zurück, und ich blieb plötzlich stehen und schaute sie durchbohrend an.
    »Aber Germaine«, sagte ich, »und Sie — Sie haben es ihm nicht gesagt? Sie brauchten doch nur die Tür aufzumachen; da hätte er mich sozusagen im Schlaf bekommen«, fügte ich lachend hinzu.
    Sie war im ersten Augenblick blaß geworden, nun wurde sie rot.
    »Warum«, fragte ich, »haben Sie es ihm nicht gesagt?«
    »Es wäre — ich wollte — nein, ich hätte es ihm nie gesagt.«
    »So«, machte ich, »das ist lieb von Ihnen.«
    »Übrigens«, fuhr sie eifrig fort, »habe ich tatsächlich keine Ahnung, wo Sie sich zur Zeit aufhalten.«
    »Das — das ist ja auch nicht so wichtig. Ich bin jedenfalls in Sicherheit.«
    Mir fiel auf, daß er ihr davon wirklich nichts gesagt hatte; er schien felsenfest damit zu rechnen, daß ich wieder bei ihr erscheinen würde. Labourusse war kein schlechter Psychologe, wenn ich mir auch vornahm, ihm den >frommen Hohlkopf< nicht so rasch zu vergessen.
    Und plötzlich, wie ich Germaine so vor mir stehen sah, brach die ganze Tragweite dessen, was ich gehört hatte, mit voller Wucht über mich herein.
    Sie hatte Alexandre erschossen!
    Sie stand vor mir und schaute mich an. Ich war zu aufgeregt, um zu sehen, was in ihren Augen lag; aber ich sah, daß sie zutiefst erregt war. Vielleicht hätte ich ihr den Mord nur auf den Kopf zuzusagen brauchen — und sie hätte ihn gestanden. Das, was ich mir so brennend gewünscht hatte — das, wofür ich praktisch mein Leben und meine Freiheit aufs Spiel gesetzt hatte, das hatte ich nun. Ich kannte den Mörder meines Bruders.
    Ich hätte jetzt nur die Polizei zu rufen brauchen.
    Sie schaute mich noch immer an.
    »Ich habe geträumt, Germaine«, sagte ich, »es war sehr schön. Ich war irgendwo an einem See, und da war ein kleines, weißes Haus. Ich stand auf dem Balkon, und hinter mir, im Zimmer, packte jemand die Badesachen ein. Sie waren das, Germaine, Sie waren bei mir. Und dann fragten Sie mich etwas, und ich sagte: >Alles steht unten — wir können gleich fahren.< — Ich weiß nicht, wohin wir fahren wollten.«
    Ich sah, wie sie anfing zu zittern.
    Plötzlich lehnte sie sich an die Wand und begann zu weinen.
    Ich trat neben sie und streichelte ihre

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