Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
sich die Billardspieler und Cocktailgäste, und im hinteren Saal saßen die Leute, die auf den zweiten Auftritt von Black Sun warteten, an kleinen Tischen. Ardeth und Rossokow zwängten sich durch die Menschentraube am Eingang und gingen durch die verrauchte Luft in den hinteren Saal. Als sie schließlich in einer Ecke einen Stehplatz gefunden hatten, dachte Ardeth an die wenigen Male zurück, die sie hierhergekommen war, um der Band zuzusehen. Damals hatte sie den Lärm und die verqualmte Luft und die langen Stunden gehasst, die man am Tisch sitzend damit verbringen musste, auf den Beginn der Show zu warten. Am schlimmsten war das Gefühl gewesen, für die Leute um sie herum entweder unsichtbar zu sein – oder gar auf peinliche Weise deplatziert zu wirken.
Sie spürte, wie dieses Gefühl sich wieder einstellte, und plötzlich kam sie sich in dem kurzen schwarzen Rock auf unangenehme Weise exponiert und auf den hohen Absätzen linkisch und unsicher vor. Sie ballte die Fäuste in den Taschen und machte sich bewusst, was sie war.
Trotz Rossokows Besorgnis schien niemand sie zu beachten. Mit zurückgekämmtem Haar sah er nicht länger wie ein halbverrückter Landstreicher aus, und in der Dunkelheit konnte keiner erkennen, wie schäbig seine Kleidung war. Auf dem Weg zum Club waren sie bei einem Straßenverkäufer stehen geblieben, und er hatte ihr mit überraschender Galanterie ein langes, golddurchwirktes weißes Tuch gekauft, unter dem sie ihr schwarzes Haar verbergen konnte. Er bestand auch darauf, dass sie ihre Sonnenbrille abnahm, um weniger auf die Beschreibung zu passen, die Sara auf ihren Plakaten veröffentlicht hatte.
»Weiß sie, dass wir hier sind?«, fragte sie schließlich und vermied es, hier in Saras Geltungsbereich den Namen ihrer Schwester auszusprechen. Rossokow schüttelte den Kopf. »Wäre es nicht besser, wenn wir draußen auf sie warten würden, hinter dem Lokal?«
»Damit wir wie Landstreicher oder wie Diebe aussehen? Nein, hier drinnen sind wir sicherer. Sie hat mein Gesicht nicht im Licht zu sehen bekommen, und die Zeichnungen von dir waren …« Er hielt inne und sah sie an, »härter, stilisiert. «
»Was werde ich ihr sagen?«, fragte sie nach einer Weile, wobei sie sich zu ihm hinüberbeugen musste, damit er sie trotz der lauten Musik hören konnte.
»Was immer nötig ist. Worte, die sie glauben wird.«
»Selbst die Wahrheit?«
»Wenn nötig, selbst die.« Ardeth schloss die Augen und lehnte den Kopf an seine Schulter. Sein Jackett roch schwach nach Mottenkugeln. Worte, die sie glauben wird … Was sind das für Worte. Was für Worte würde ich glauben? Als eine Stimme schließlich die Band ankündigte, wusste sie es immer noch nicht.
Es war härter, als sie geglaubt hatte. Nur Rossokows Arm um ihre Schulter hielt sie dort, zwang sie, es zu ertragen: Saras Stimme, die sie in ihre Vergangenheit zurückrief, den vertrauten Anblick der schwarz gekleideten Gestalt ihrer Schwester mit ihrem kastanienfarbenen Haar, die sich auf der Bühne bewegte. Auch wenn die Gäste, die begeistert auf der Tanzfläche herumhüpften, ihr gelegentlich die Sicht versperrten, so konnte nichts den Ton verdecken, der Dinge in Ardeths Herzen bewegte, die sie für tot und begraben gehalten hatte.
Black Sun spielten eine Stunde – von dröhnenden Tanzstücken zu Balladen voll eindringlicher zerfranster Harmonien. Von ihrer Ecke aus, aus der Distanz, die sie sich bemühte zu bewahren, erkannte Ardeth zum ersten Mal, wie talentiert ihre Schwester eigentlich war, angefangenen von ihrer traurigen und doch irgendwie weisen Betrachtung der Welt bis zu ihrem Sinn für Melodie, der im Kontrast Schönheit finden konnte, und Kraft in Stimmen, die nie ganz im Gleichklang ertönten.
Als man die Band zu einer Zugabe aufforderte, setzte sie zu einer langsamen Melodie von betörender Schönheit an, einem einfühlsamen Trauergesang. Sara stand unbewegt am Mikrofon, den Kopf nach vorne gebeugt, um ihr Gesicht zu verbergen, als sie zu singen begann:
There’s a girl walking down the street
She walks just like you
And I call out your name again
Though I never mean to
She turns around and there’s a stranger
Looking out of her eyes
And I look away when I realize
That the thing I was looking for
Has gone missing
Ein Mädchen geht die Straße hinunter.
Sie geht genau wie du.
Und wieder ruf ich deinen Namen,
Obwohl ich das gar nicht will.
Sie dreht sich um, und da blickt eine Fremde
Aus ihren Augen.
Und ich
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