Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
und Ardeth verspürte den Triumph in sich aufsteigen. Was er sagte, stimmte natürlich, aber die Ewigkeit lag immer noch weit in der Zukunft. »Also, lassen wir die Vergangenheit hinter uns, ich habe mich schon zu lange dort aufgehalten. Ich habe dich aufgesucht, um mit dir über die Gefahren zu sprechen, die die Gegenwart für uns bereithält.«
»Oh, bist du jetzt bereit, mit mir darüber zu sprechen?«
Auf seinen verblüfften Blick hin grinste sie. »Ich habe schon immer vermutet, dass du mehr über das weißt, was um uns herum vorgeht, als du bisher zugegeben hast.«
Er erzählte ihr von seinem Zusammenstoß mit Ambrose Dale vor beinahe einhundert Jahren. »Nachdem ich aus dem Haus geflohen war, versteckte ich mich in meinem Lagerhaus und versetzte meinen Körper in den tiefen Schlaf, der unsere Art jahrelang ruhen lassen kann. Ich wusste nicht, dass er am Tag darauf einen Schlaganfall erlitt und die Jagd nach mir damit endete. Bis zu diesem Jahr«, schloss er. »Und jetzt haben wir es nicht nur mit Havendale zu tun … sondern auch noch mit deiner Schwester.«
»Sara? Was hat sie damit zu tun?«
»Sie weiß, dass du nicht tot bist. Hast du ihre Plakate nicht gesehen, mit denen sie dich sucht?« Ardeth schüttelte den Kopf. »Dann ist es mir vielleicht gelungen, sie alle zu finden und abzureißen. Aber sie wird nicht aufhören, nach dir zu suchen, und über kurz oder lang wird sie damit Havendale aufmerksam machen.«
»Woher weißt du, dass sie nicht aufhören wird?«
»Ich habe sie darum gebeten, doch sie hat sich geweigert.«
»Du hast sie darum gebeten«, wiederholte Ardeth ungläubig.
»Ich habe sie in deinem alten Apartment aufgesucht und ihr gesagt, sie solle aufhören zu suchen, habe ihr erklärt, dass du in Gefahr bist, solange dich nicht alle für tot halten. Sie bestand darauf, dass sie das nur aus deinem Munde akzeptieren würde. Sie ist sehr entschlossen. Du wirst mit ihr sprechen müssen, sie davon überzeugen müssen, dass du nur sicher bist, wenn sie die Suche nach dir aufgibt.«
Zorn wallte plötzlich in ihr auf, über ihre Vergangenheit, die in ihre Gegenwart hineingezerrt worden war, über Sara, die versuchte, sie mit Banden festzuhalten, die besser zerrissen blieben, über jede Verbindung zwischen ihrer wilden, unberechenbaren jüngeren Schwester und Rossokow. »Ich will sie nicht sehen. Ich weiß nicht, warum du zu ihr gegangen bist. Warum sucht sie mich überhaupt?«, wollte sie von der Nacht ebenso wie von ihm wissen.
»Ich vermute, weil du ihre Schwester bist«, meinte Rossokow vorsichtig.
»Und? Das hat ihr früher auch nie etwas bedeutet, nur wenn sie einen Platz zum Schlafen brauchte. Warum will sie mich nicht einfach gehen lassen? Ich will sie nicht sehen.«
»Ardeth, wir sind hier nicht unsichtbar, ganz gleich, wie sehr wir uns auch bemühen. Ich habe deine Handschrift im Tod jenes jungen Mannes in dem alten Haus gesehen. Und möglicherweise bin ich nicht der Einzige, der diese Spur entdeckt hat. Und deine Schwester könnte denen – mit all ihrer fehlgeleiteten Liebe, die sie für dich empfindet – die letzten Hinweise liefern. Der Preis ihres Schweigens ist ein Beweis, den du ihr liefern musst. Es könnte der Preis unseres Überlebens sein. Das ist doch ganz bestimmt nicht zu viel von dir verlangt.«
»Und wenn ich es tue, was dann? Selbst wenn sie aufhört, können wir doch nicht auf alle Zeiten versuchen, unsichtbar zu sein.« In der berauschenden Hitze der letzten Monate war es leicht gewesen, diese Wahrheit zu ignorieren. Nicht aber in der vernünftigen Kühle des ersten ehrlichen Gesprächs, das sie in all den Monaten geführt hatte. Und jetzt, da sie die Wahrheit anerkannt hatte, musste sie etwas unternehmen. Rossokows Beharren auf Sicherheit war ihr immer wie eine Verleugnung der wilden Macht erschienen, deren Puls sie in ihren Adern spürte. Havendale war es, das Angst vor ihnen haben sollte, und nicht etwa umgekehrt.
»Ich weiß. Aber wir brauchen die Zeit und die Freiheit, uns mit dieser Bedrohung zu unseren eigenen Bedingungen auseinanderzusetzen, und nicht zu den ihren.«
»Also schön. Ich werde zu ihr gehen. Aber dann vernichten wir Havendale.«
»Dann vernichten wir Havendale«, pflichtete er ihr bei. »Und nun sollten wir – falls du es ertragen kannst, dich mit einem so schäbigen Geschöpf sehen zu lassen, wie ich eines bin – gehen und deiner Schwester beim Singen zuhören.«
27
Das Gold Rush war gerammelt voll. Im vorderen Raum drängten
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