Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
widmen. Aber sie sah in meine Augen und zuckte nicht zusammen, und das ließ mich lange genug innehalten, dass sie anfangen konnte zu reden. Sie schwor, mir zu dienen, mein Haus zu versorgen, damit niemand Argwohn hinsichtlich meiner wahren Natur schöpfte, mir Nahrung zu bieten, wenn es ihr nicht schadete. Sie erfand unerhörte Gründe dafür, weshalb meine Existenz ohne ihre Dienste nicht vollkommen sein würde.
Und so nahm ich sie am Ende mit, nachdem ich ihr durch Hypnose alle in meiner Macht stehenden Fesseln angelegt hatte, um sie daran zu hindern, uns während des Tages zu verraten. Sie hatte in vieler Hinsicht Recht. Unsere Existenz war mit ihrer Unterstützung viel einfacher. Sie besaß eine schnelle Auffassungsgabe und einen durchtriebenen Humor und war, sobald sie sich einmal gründlich gewaschen hatte, von durchaus lieblichem Wesen. Bald konnten wir uns unseren Haushalt ohne sie nicht mehr vorstellen.
Zuerst rührte sie keiner von uns an. Unser Begriff von Moral schwankte gewaltig, musst du wissen. Wir konnten unglaublich bösartig sein und hatten uns fast jeder Untat schuldig gemacht, die man unserer Art zuschrieb – aber wir würden nie so weit sinken, unsere Dienstbotin zu missbrauchen. Und dann, eines Nachts, nachdem sie schon einige Monate bei uns war, kehrten wir beide unruhig und unbefriedigt zurück, jeder von seiner eigenen Unternehmung. Zu unserer Überraschung machte uns Roxanne, als wir unser Versagen eingestanden, Vorwürfe, und sagte, dass das, was wir brauchten, schließlich hier wäre, es sei denn, ihr Blut wäre uns nicht aristokratisch genug. Wir waren verblüfft, und dann erhob sich Jean-Pierre, um zu gehen. Wahrscheinlich hatte er das Gefühl, dass ich ältere Ansprüche an sie hegte. Aber sie forderte uns beide auf, zu bleiben, es sei denn, wir dachten, es würde ihr Schaden zufügen. Also knieten wir neben ihrem Stuhl nieder und tranken zum ersten Mal aus ihren Handgelenken.
Von jenem Moment an war sie nicht nur unsere Bedienstete, sondern auch unsere Schwester, unsere Freundin, unsere Geliebte. Und auf eine seltsame Art unsere Mutter. Sie pflegte uns als ›ihre Bestien‹ zu bezeichnen, so wie eine Mutter ihre Söhne ›kleine Ungeheuer‹ nennt. Sie gab uns, was keiner von uns beiden je geglaubt hatte, wieder zu besitzen … ein Zuhause und eine Familie, so seltsam es auch gewesen sein mag.
Das Ende kam plötzlich. Ich weiß nicht, welche unserer vielen verrückten und unbesonnenen Taten Verdacht erregt hatte, oder welcher unserer Gefährten, Freunde oder welches Opfer uns verdächtigt hatte. Einer muss es gewesen sein. Ich hatte die Stadt durchstreift, zu aufgeputscht, um nach Hause zu gehen, und als mich schließlich der goldene Himmel zurücktrieb, stand das Haus bereits in Flammen. Jean-Pierre war von Anfang an dem Tode geweiht. Ich sah Roxanne in einem der oberen Fenster, ihr Haar in Flammen, dann verschwand sie aus meiner Sicht.
In der nächsten Nacht sammelte ich all mein Geld zusammen und kaufte mir eine Passage auf dem ersten Schiff, das nach Amerika fuhr. Ich kam hierher, nach Toronto, und lebte vorsichtig, ernährte mich nur von den Armen und Hilflosen, die mich nicht kennen konnten. Ich tötete niemanden, kannte niemanden, liebte niemanden und gab mich keinerlei Exzessen hin. Und versuchte, zu vergessen.«
Ardeth strich ihm übers Haar. »Es war nicht deine Schuld.«
»Ich war der Ältere, ich hätte weiser sein müssen. Und vorsichtiger.«
»Deshalb sagst du, dass wir Geschöpfe der Einsamkeit sind.« Er nickte, und sie strich ihm mit der Hand über die Wange, drehte seinen Kopf herum, so dass er ihr in die Augen sah. »Aber du warst damals glücklich. Warst du hier jemals glücklich? Damals, vor all den Jahren? Warst du in diesen letzten Monaten glücklich?« Er schüttelte stumm den Kopf. »Nein. Du hast nur versucht, sicher zu sein. In der Sicherheit liegt kein Glück. Das ist eine Lektion, die ich in dieser Irrenanstalt gelernt habe.«
»Aber im Risiko liegt auch keine Garantie für Glück. Diese Lektion hat Jean-Pierre in Paris gelernt«, erwiderte Rossokow schroff.
»Eine Garantie für Glück gibt es nie. Also verlass mich nicht wieder.« Sie suchte seinen Blick und sah trotz der tiefen Traurigkeit, die sie dort entdeckte, nicht weg.
»Ich gebe dir keine Versprechen, bitte versteh das. Wir haben eine Ewigkeit vor uns, in der wir sie brechen können. Und die Wahrscheinlichkeit ist viel zu groß, dass wir das auch tun werden«, sagte er schließlich,
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