Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
Vom Netzwerk:
Glauben Sie, so war’s?«, fragte sie beiläufig. »Das muss sie dazu veranlasst haben, nach mir zu suchen. Und wenn sie nicht angefangen hätte, mich zu suchen, wäre nichts von all dem hier geschehen. Mir scheint also, dass derjenige, der es ihr verraten hat, in Wirklichkeit für das verantwortlich ist, was mit ihr geschehen ist.«
    Er fuhr plötzlich zu ihr herum und hätte vielleicht nach ihr geschlagen, wenn nicht eine Hand seinen Arm gepackt hätte. Rossokow trat zwischen die zwei. »Hört auf, Kinder«, sagte er schneidend, immer noch Mickeys Arm festhaltend. »Lasst das. Ihr rettet sie nicht, indem ihr euch gegenseitig die Schuld für die Gefahr gebt, in der sie sich befindet.«
    Mickey riss an seinem Arm, versuchte, ihn frei zu bekommen, und seine Augen weiteten sich, als er feststellte, dass er es nicht schaffte. Rossokow ließ ihn los, und Mickey stand da und rieb sich den Arm. »Also schön«, murmelte er schließlich und drehte sich um, um sie weiter die Straße hinunterzuführen. Ardeth blieb stehen, blickte ihm nach und sah dann Rossokow an.
    »Ich habe seinen Freund nicht getötet«, sagte sie langsam.
    »Das ist etwas, das du mit deinem Gewissen ausmachen musst. Nicht mit mir.«
    »Ich dachte, wir hätten kein Gewissen.«
    »Dann wäre vieles sehr viel einfacher, das gebe ich zu. Aber alles, was in jener Irrenanstalt gestorben ist, war dein Körper. Alles andere, von dem du jetzt glaubst, dass es dir fehlt, hast du selbst begraben.« Seine Stimme war sanft, aber die Worte schienen die Schuld und die Reue, die sie versucht hatte, in ihrem Herzen zu Asche werden zu lassen, zu neuem Feuer zu entfachen. »Aber dies ist jetzt weder die Zeit noch der Ort für solche Gespräche. Was auch immer dir die Kraft gegeben hat, diese letzten Monate zu überstehen – halte dich jetzt daran fest. Wir werden es brauchen.«
    In der Stille rief eine Stimme nach ihnen, und Ardeth wandte sich dankbar ab. Es war leichter, sich mit der Glut von Mickeys Hass auseinanderzusetzen als mit der kalten, unversöhnlichen Nachahmung von Tugendhaftigkeit in Rossokows Worten.

28
     
    Der Lastenaufzug dröhnte und klapperte hallend durch die nachmitternächtliche Stille des alten Lagerhauses. Mickey sah zu, wie der alte Zeiger langsam im Halbkreis auf die römische Ziffer zu kroch, die sein Stockwerk signalisierte. Alles war besser, als die zwei stummen Gestalten anzusehen, die die schwach beleuchtete Aufzugskabine mit ihm teilten.
    Die ganze Zeit hatte er sich gefragt, was er sagen würde, sollte Ardeth wirklich wieder auftauchen. Er wusste, dass die Fragen nach Ricks Tod hatten gestellt werden müssen, selbst wenn er sie Sara gegenüber nie wieder erwähnt hatte. Aber irgendwie hatte er angenommen, dass die Konfrontation stattfinden würde, nachdem die Schwestern Frieden geschlossen hatten, wenn Ardeth die Bühne bequemerweise wieder verließ, so dass, was immer an Wahrheit aufgedeckt wurde, mit ihr abgehen würde. In seiner Vorstellung blieb nichts zurück, was seine Beziehung zu Sara belasten würde.
    Deine Beziehung zu Sara, spottete eine innere Stimme. Was für eine Beziehung? Ein Kuss, ein Augenblick, in dem du gedacht hast, sie hätte vielleicht wollen können, dass du bleibst. Wahrscheinlich war der einzige Grund, dass sie dich überhaupt in ihrer Nähe geduldet hat, die Verlockung, ihre verschwundene Schwester wiederzufinden, die du vor ihrer Nase hast baumeln lassen. Aber das glaubte er nicht, nicht tief in seinem Herzen.
    Und jetzt war sie weg. Hineingezerrt in Gott weiß was für einen Horrorfilm, und alles nur wegen ihrer Schwester. Er riskierte einen kurzen Blick auf Ardeth. Sie beobachtete ebenfalls den Zeiger, der die Stockwerke anzeigte, das Gesicht etwas nach oben gewandt, so dass ihre Gesichtszüge von dem schwachen Licht beleuchtet wurden. Die Fremdartigkeit, die er auf der Straße gespürt hatte, war immer noch da, wenn auch schwerer zu greifen, als ob sie es jetzt besser schaffte, sie zu verbergen. Aber er erinnerte sich, wie er in der Gasse ihre Augen hatte rot aufblitzen sehen, und seine Eingeweide zogen sich zusammen. Er konnte jene Erinnerung nicht mit Saras Schilderung von ihrer Schwester in Einklang bringen – einer Schwester, die ihr ganzes Leben durchgeplant hatte, die in jenem sauberen, von Bücherregalen gesäumten Apartment gelebt hatte, und die eine etwas misslungene Halskette aus Papiermaché gebastelt hatte. Die Bilder blieben voneinander getrennt, weigerten sich, in ein zusammenhängendes Bild

Weitere Kostenlose Bücher