Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
noch die Schwester bin, die du gekannt hast, die zu zimperlich war, um Spinnen zu töten. Glaub ja nicht, dass es zwischen dir und mir noch die geringste Ähnlichkeit gibt.«
»Was machst du dann hier? Wenn du nicht Ardeth, nicht meine Schwester bist, weshalb bist du dann nicht einfach weggegangen?«, fragte Sara mit einer vor Schmerz rauen Stimme, die sich trotzig weigerte, das Gehörte zu glauben, so wie sie sich geweigert hatte, an Ardeths Tod zu glauben. Ardeths Herz stockte einen Augenblick lang, plötzlich von einem blinden Drang überkommen, alles zu leugnen, was sie gerade gesagt hatte, so zu tun, als würden die harten Fakten ihrer zweiten Geburt sie nicht unwiderruflich von den Banden der ersten abtrennen. Sie war gekommen, um sich an Havendale zu rächen, um der Bedrohung ein Ende zu setzen, die auf ihr und Rossokow lastete, so viel war richtig. Aber zuallererst war sie gekommen, um Sara zu retten. Und wenn Sara jene Wahrheit in ihren Augen las, dann würde sie sich mit ihrer ganzen bulldoggenartigen Hartnäckigkeit daran festklammern und nicht zulassen, dass sie das noch einmal leugnete. Und dann würden sie fortfahren, einander ewig heimzusuchen, so wie Sara sie in der ganzen Zeit, in der sie ihr neues Ich geschaffen hatte, heimgesucht hatte. So wie andererseits ihre Schwester nicht von ihr losgekommen war und Sara Nacht für Nacht ihren Verlust und ihre Sehnsucht auf der Bühne hinausgesungen hatte.
»Weil«, begann sie langsam und blickte an dem dunklen Blick ihrer Schwester vorbei zu jenen viel dunkleren, die hinter dem Spiegel warteten. Ich sage ihnen nichts, was sie nicht ohnehin schon vermuten, dachte sie, um teilweise die Wahrheit zu entschuldigen, die sie gleich preisgeben würde, damit jene andere, tiefere verborgen blieb. »Weil ich müde war, mich vor ihnen zu verstecken, vor ihnen wegzulaufen. Weil ich müde war, ihretwegen immer so verdammt vorsichtig zu sein. In jener Nacht in der Irrenanstalt war ich nicht vorsichtig – und weißt du was, Sara? Du hast Recht gehabt – es hat Spaß gemacht, nicht vorsichtig zu sein. So viel Spaß habe ich noch nie gehabt.«
Sie lehnte sich an die Wand hinter ihrer Pritsche, dehnte sich träge und setzte ihre Sonnenbrille auf. Die Kamera konnte nur das raubtierhafte Lächeln sehen, das auf ihren Lippen eingefroren war. Den ungläubigen Schrecken in Saras Augen konnte sie nicht einfangen. Und sie konnte auch nicht erkennen, dass hinter dem Schutz, den die schwarzen Gläser boten, Ardeths Augen zugepresst waren, um diesen Schrecken ebenfalls nicht sehen zu müssen.
31
Mickey gähnte und streckte sich verstohlen. Er zuckte zusammen, als die Blätter rings um ihn dabei in Bewegung gerieten. Komm schon, du alter Bastard, beeil dich, dachte er in der kühlen Nachtluft. Rossokow war etwa eine Stunde früher aufgewacht und in den Wald verschwunden, der das Haus umgab. Mickey nahm an, dass er wohl nicht hoffen durfte, dass er Kaffee und Donuts besorgte.
Sie steckten jetzt seit mehr als sechzehn Stunden hier in der Warteschleife. Nachdem sie den Lieferwagen zur Einfahrt des Anwesens verfolgt und die zwei Posten am Tor bemerkt hatten, hatten sie auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums auf der anderen Seite geparkt und waren über die drei Meter hohe Steinmauer geklettert. Mickey schnitt eine Grimasse und sog kurz an den Schnittwunden, die er sich dabei an den Fingern zugezogen hatte.
Die Höhe und der Stacheldraht an der Mauerkrone hatten Rossokow offensichtlich keine Minute bremsen können – er wünschte, er könnte dasselbe für sich sagen.
Während sie auf das Haus zugeschlichen waren, hatten sie sich im Gebüsch verstecken müssen, während jemand links von ihnen durch den Wald stapfte. Irgendeine Alarmanlage, hatte Mickey für sich entschieden, und die nächsten, viel zu langen Augenblicke damit zugebracht, sich eine Ausrede zurechtzulegen, ehe der Mann wieder zurückgestapft kam und die Warnung allem Anschein nach entweder Waschbären oder Kindern zuschrieb, die sich wahrscheinlich beide in nervtötender Regelmäßigkeit in das Anwesen schlichen.
Vermutlich sollten wir dankbar sein, dass die liebe alte Althea sich nicht die Mühe gemacht hat, den Gärtner zu behalten, dachte Mickey träge und blickte durch die schützenden Fliederbüsche zu den Lichtern hinüber, die im Haus leuchteten. Bis zur nächsten Tür waren es von seinem augenblicklichen Standort aus nur etwa fünfzehn Meter, aber die Schatten der überhängenden Eichen und das dichte
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