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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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umbringt.« Ihre Stimme klang hart und schroff.
    »Ja, manchmal tut es das«, gab Mark zu. »Ich habe gute Freunde an den Fels verloren. Deshalb bin ich vorsichtig und gehe keine unvernünftigen Risiken ein.«
    Die Ironie des Ganzen durchfuhr sie wie ein Blitz, ließ sie ruckartig aufspringen und um den Felsbrocken herum in die Finsternis der Bäume eilen. »Ardeth …« Sie hörte wie er aufstand, ihr folgte. »Ardeth, was ist denn?« Sie hielt sich am Stamm eines vom Wind zerzausten Baumes fest, kämpfte vergebens gegen das heisere Gelächter an, das aus ihrem Hals drang. »Was ist denn so komisch?«
    »Sie. Ich. Sie gehen das größte, unvernünftigste Risiko Ihres Lebens ein, Mark Frye, und Sie wissen es nicht einmal.«
    »Was wollen Sie denn tun, mich in den Abgrund stoßen?« Das war ein schwacher, unsicherer Witz, der sie von dem Abgrund zurückholen sollte, den er nicht sehen konnte. Er hatte keine Angst vor ihr, begriff sie, er hatte Angst um sie. Sein Mitgefühl machte sie wütend und zog sie doch zugleich an.
    Sie konnte gehen … ehe die Anziehung zu stark wurde, ehe sie der Versuchung nachgab, die darin lag. Sie hatte bereits einer Verlockung nachgegeben, als sie zugelassen hatte, dass er mit ihr kletterte. Du hast es die ganze Zeit gewusst, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Du hast gewusst, was passieren würde, wenn ihr den Gipfel erreicht.
    »Ardeth«, fing er wieder an, streckte die Hand aus, um sie an der Schulter zu berühren. Sie drehte sich um und sah, wie Sorge, Neugierde und Begehren über sein Gesicht zogen wie Wolken über das Antlitz des Mondes. Sie konnte die Hitze seiner Hand durch den dünnen Stoff ihres Hemdes spüren.
    Sie sollte gehen …
    Aber es war zu spät. Sein Mund öffnete sich für ihren Namen und verlor ihn wieder, als sie ihn küsste. Ardeth spürte, wie sie sich ganz in den Empfindungen auflöste: Raue Baumrinde an ihrem Rücken, das Kratzen seines Bartes an ihrer Wange, die vom Fels gehärteten Schwielen seiner Finger auf ihrer Haut. Sie gab sich dem hin, dem und der wartenden Hitze, die überall, wo ihr bloßes Fleisch sich begegnete, zu pulsieren begann. Eine große Leere hüllte sie ein.
    Die Kletterausrüstung riss sie in die Wirklichkeit zurück. Die Haken und Schnallen, die ihre Sicherheit garantierten, ließen sich nicht öffnen, ohne wenigstens einen Teil ihres Verstandes zu beanspruchen. Wieder voneinander gelöst, schien dieselbe klare Erkenntnis auch ihn zu erfassen, und er löste sich ein Stück von ihr, als habe er zum ersten Mal Angst.
    Ardeth dachte an Rossokow, der alleine in die Sterne starrte. Scham wallte in ihr auf, bitter und brennend.
    »Es tut mir leid, ich …«, begann sie und sah, wie Bestürzung die Neugierde und das Begehren in seinen Augen verdrängte. Als sie sich ganz von ihm löste, wusste sie, dass da sonst nichts war, was sie sagen konnte, keine Erklärung, die Sinn machen … oder etwas ändern würde. »Es tut mir leid.«
    Sie wirbelte herum und tauchte in die Arme des Waldes ein, die sich ihr verheißend entgegenstreckten, ließ Ausrüstung und Schuhe und Marks besorgte Stimme hinter sich und rannte den schmalen Pfad hinunter.

8
     
    Die Sterne kreisten über ihm, ohne dass er sie wahrnahm.
    Rossokow stand über das Teleskop gebeugt da und sah zu, wie der Wind die vom Mond beleuchteten Fichten auf dem Gipfel des Berges zerzauste. Die Wand war von seinem Aussichtspunkt aus nicht sichtbar, deshalb konnte es nicht schaden, wenn er durchs Teleskop blickte. Die verdrehte Logik des Gedankens amüsierte ihn plötzlich. Wie leicht es doch war, auch seinen unvernünftigsten Handlungen Vernunft abzugewinnen. Er hatte sich geschworen, dass er sich nicht einmischen würde, dass er nicht wie eine Glucke aufpassen würde, wenn sein flügge werdender Zögling zum ersten Mal seine Flügel erprobte, oder vielleicht auch seine Klauen am Stein des Berges. Aber es war leichter, einen Eid zu leisten, als ihn zu halten. Das Echo seiner eigenen Warnung an sie hallte in ihm nach: »Wir haben eine Ewigkeit, um unsere Versprechen zu brechen … und einiges spricht dafür, dass wir das auch tun werden.«
    Er richtete das Teleskop wieder nach oben, um die Flussläufe der Sterne der Milchstraße einzufangen, die über den Bergspitzen dahinströmten. Nach ihrem Streit hatte keiner von ihnen wieder etwas vom Abreisen gesagt. Wenn Ardeth bemerkt hatte, dass er ihre Frage nicht beantwortet hatte, so war sie offenbar bereit, darüber hinwegzusehen. Sie jagten

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