Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
lassen.«
»Warum?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Das wird auch eine lange Nacht.«
»Aber nicht so lang.« Ihre Stimme kratzte über das Felsgestein zwischen ihnen, scharf und abgehackt. Sie hinterließ einen Augenblick angespannter Stille, und dann sah sie, wie Mark die Achseln zuckte.
»Na schön. Was ist ihre Lieblingsfarbe?«
»Kobaltblau«, antwortete Ardeth nach einem kurzen Augenblick der Verblüffung. Der abrupte Wechsel in seinem Tonfall hätte sie beinahe so erschreckt, dass sie in der Vergangenheit geantwortet hätte, als ob ihre Vorliebe für bestimmte Farben mit ihrem Körper gestorben wäre. Einen absurden und zugleich beängstigenden Augenblick lang versuchte sie, sich darüber klarzuwerden, ob sie das wirklich waren.
»Verdammt. Ich hätte auf Schwarz gewettet.« Das brachte das Gelächter zurück und stellte ihre Fassung wieder her.
»Jetzt bin ich an der Reihe. Wo kommen Sie her?«
»Brantford, Ontario. Geburtsort von Alexander Graham Bell und Wayne Gretzky. Ich habe übrigens als Junge mit ihm Hockey gespielt.«
»Wirklich? Sind Sie deshalb in Banff gelandet?« Jetzt war er mit Lachen an der Reihe.
»Eigentlich nicht. Obwohl es die Hockeyspiele ein wenig langweilig gemacht hat – das Team, in dem Wayne spielte, gewann jedes Mal. Nein, ich bin vor etwa zehn Jahren hierher gekommen.«
»Warum?«
»Ich hatte ein Jahr an der Universität studiert, hatte aber dann erkannt, dass das für mich nicht das Richtige war. Dann habe ich mir für den Sommer einen Job in British Columbia gesucht, Bäume pflanzen, und als das vorbei war, bin ich hierhergekommen.«
»Je daran gedacht, wieder nach Hause zurückzugehen?«
»Nie. Zu eben. Was hat Sie auf die Idee gebracht, es mit Klettern zu versuchen?«
Lügen huschten durch ihren Verstand, leicht und glaubhaft. »Mein Leben ist im Augenblick sehr kompliziert«, erklärte sie schließlich. »Ich brauchte etwas Einfaches. Und weil ich es konnte.«
»Darüber habe ich mir den Kopf zerbrochen. Sie sehen nicht wie ein Klettertyp aus.«
Eine Frage lungerte am Ende dieser Feststellung. Ardeth wusste, dass sie sie nicht fragen sollte, dass sie zu nahe an den Klippenrand des Flirts führte. »Nach was für einem Typ sehe ich denn aus?« Sie spürte das Gewicht von Marks Schweigen und wünschte, sie hätte den Mund gehalten.
»Das ist eine schwierige Frage. Sie kleiden sich wie ein Punk, aber Sie sind keiner. Sie sind sehr stark, aber ich weiß nicht, wie sie das machen. Mit anderen Worten: Sie sind mir ein Rätsel«, sagte er schließlich mit leiser Stimme, und Ardeth schloss die Augen. Sie spürte, dass ein Sturz auf sie wartete, der Anfang desselben verführerischen Drangs, zu springen, der sie manchmal überkam, wenn sie besonders hoch oben stand.
»Rätsel können gefährlich sein.« Die Warnung klang halbherzig, selbst für ihre eigenen Ohren.
»Das Klettern auch, das ist einer der Gründe, die einen dazu veranlassen.«
Dann kämpfte der Mond sich aus den letzten Wolken hervor und tauchte die Klippe in silbernes Licht. Die Mechanik der Bewegung setzte wieder ein, und Geheimnisse und Verführung gerieten in Vergessenheit, während sie sich quer über die Felswand weiter nach oben arbeiteten. Der Mond verließ sie nicht wieder.
Zu guter Letzt zog Ardeth sich auf den schmalen Felsvorsprung hinauf, der den höchsten Punkt der Wand bildete. Mark stand bereits oben und blickte jetzt über das Tal zu ihren Füßen. Ardeth richtete sich neben ihm auf und folgte seinem Blick. Der Wald war eine silbern gesprenkelte Dunkelheit unter ihnen und führte zu den Lichtern des Banff Springs Hotel zu ihrer Rechten, das wie ein Märchenschloss aussah. Am Sulphur Mountain blinkte in dem Restaurant über der Gondelstation ein Licht. Zu ihrer Linken verschwand das Tal in der Dunkelheit, vom eisigen Band des Bow Rivers in zwei Teile geteilt. Über ihnen küsste der Mond den Rand der Berge, und die Sterne waren wie Diamantsplitter über den Himmel verteilt. Einen Augenblick lang war es, als stünden sie hoch genug, um sie zu berühren. Plötzlich fragte sie sich, ob Rossokow sie durch sein Teleskop sehen könnte, falls er in diese Richtung blicken sollte. »Jetzt sehen Sie, weshalb ich nie zurückkehren könnte«, sagte Mark leise, und sie nickte, sprachlos von der Schönheit der Nacht.
Dann beugte er sich vor und begann das Seil einzurollen.
»Und jetzt?«, fragte Ardeth.
»Jetzt setzen wir uns hier hin und genießen eine Weile die Nacht, bis es Zeit ist,
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