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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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Hüfte fest und zog sie dicht an sich heran. Er bildete sich ein, er könne ihr Herz in seinem Käfig aus Fleisch und Knochen hämmern hören. »Du hast geschworen, Leben zu erhalten«, sagte er sanft an ihrem Ohr. »Erhalte meines.«
    Sie gab einen leisen Laut von sich, als seine Zähne ihre Vene fanden, und dann streckte sie die Hand aus, um sich am Zaun festzuhalten. Er presste sie dagegen, hielt sie fest, als ihre Hüften den seinen entgegenstrebten. Seine Hände schlossen sich über den ihren, pressten sie an den Draht.
    Als er fertig war, flüsterte er an ihrem Ohr die Rituale des Vergessens und ließ sie dann los. Er sah, wie sie einen Moment gegen den Zaun sackte, und die ersten Fasern der Reue arbeiteten sich durch den süßen Nebel, den ihr Blut in ihm hinterlassen hatte. Rossokow nahm ihre Hand. Ihre Finger waren lang und dünn und zeigten jetzt Druckstellen von dem Drahtzaun. Er führte sie an den Rand der Bäume und schob sie dann sacht weiter, damit sie wieder zu der Terrasse zurückfand. In ein paar Augenblicken würde sie erwachen und ohne Zweifel ihre kurzzeitige Desorientierung ihrer Übermüdung zuschreiben.
    Dann war er verschwunden, eilte schnell zum Weg zurück und am Fluss entlang zur Wohnung.
    Über ihm hatte der Mond seine Schleier abgelegt und erleuchtete silbern seinen Weg. Er blickte nicht auf. Ignorierte den wollüstigen Mond und die funkelnden Sterne. An ihrem uralten Licht war etwas, das zu bitter war, als dass er es jetzt hätte ertragen können.

9
     
    Ardeth lehnte einen Augenblick am Treppengeländer und starrte auf die nackte Glühbirne, die die Eingangstür zu ihrem Apartment beleuchtete.
    Geh schon, dachte sie und verlagerte ihr Gewicht von einem schmerzenden, nackten Fuß auf den anderen. Geh schon hinauf und bring’s hinter dich.
    Auf dem Nachhauseweg hatte sie sich nacheinander ein Dutzend Lügen zurechtgelegt, sie aber alle dann wieder verworfen. Weshalb sollte sie lügen? Sie hatte nichts Unrechtes getan. Eigentlich nicht. Und es war ein Bestandteil ihres neuen Lebens – wenn sie ihm nicht sagte, was vorgefallen war, wie sollte sie dann je lernen, sich damit auseinanderzusetzen?
    Drei Häuserblocks von der Wohnung entfernt war ihr diese Schlussfolgerung richtig erschienen. Jetzt, auf halbem Weg die Treppe hinauf, wünschte sie sich, dass ihr doch eine brauchbare Lüge eingefallen wäre. Als ob man ihn anlügen könnte, dachte sie und ging einen weiteren Schritt auf die Tür zu. Als ob er dich nicht ansehen und dann die Wahrheit wissen würde.
    Ob er ärgerlich sein würde? Sie stieg einige weitere Treppenstufen hinauf. Nein, entschied sie, nicht ärgerlich. Er würde sie auf jene Art ansehen, die ihr das Herz zerriss: betrübt, mitfühlend, wissend. Er würde ihr verzeihen, und das würde ihr auf eine ganz eigene Art wehtun. Wenn dann die Erklärungen und das Schuldgefühl vorbei waren, würde nichts sich verändert haben. Und sie konnte nicht sagen, ob dieser Gedanke sie erleichterte oder sie wütend machte.
    Sie war jetzt oben an der Treppe angelangt, atmete tief durch und versuchte die Wohnungstür zu öffnen.
    Im Wohnzimmer herrschte Dunkelheit, nur vom schwachen Schimmer des Mondlichts durchs Fenster erhellt. Rossokow saß in seinem üblichen Sessel. Sie sah das graue Glitzern seiner Augen, als er den Kopf herumdrehte, um sie anzusehen.
    Sie versuchte, nicht zu hinken, als sie das Zimmer betrat. Aber damit konnte sie ihn genauso wenig täuschen wie sich selbst, und er war so schnell aufgestanden und neben sie getreten, dass sie die Bewegung nur als einen verschwommenen Schatten wahrnahm. »Ardeth, was ist passiert?«
    »Nichts.«
    »Wo sind deine Schuhe?«
    »Auf dem Gipfel des Tunnel Mountains, nehme ich an«, antwortete sie müde. Sie ließ sich in ihren Sessel sinken und griff nach oben, um das Licht einzuschalten.
    »Warum hast du …«, begann er, hielt aber inne, als sie einen Fuß aufs Knie legte. Die Fußsohle war kreuz und quer von Schnitten durchzogen, aus denen Blut quoll. Stücke von abgestorbenen Blättern vermischten sich mit dem Schmutz auf ihrer Haut. »Ich hole Wasser«, schloss Rossokow und verschwand in die kleine Küche. Gleich darauf kam er mit einer Schüssel dampfendem Wasser und einem Handtuch zurück. »Kannst du die Füße da hineinstellen?«
    Sie nickte und zwang sich dazu, es zu tun, war für die Hitze dankbar, die von dem Wasser ausging – einer Hitze, die jeden anderen verbrüht hätte. Trotz der Entschlüsse, die sie gefasst hatte, war

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