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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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Yamagata und ich sind das nicht. Über kurz oder lang werden Sie sich sicherlich die Frage stellen, weshalb so nüchterne Geschäftsleute wohl an ›Märchen‹ glauben.«
    Der eisige Hauch eines schrecklichen Verdachts schlich sich in Lisas Bewusstsein. »Also«, fragte sie, »warum glauben Sie an Vampire?«
    Seine Antwort war ein kurzes Stakkato unergründlicher Worte, die wie Japanisch klangen, aber es irgendwie nicht waren. »Es tut mir leid, ich habe Sie nicht verstanden.«
    »Am Herbsthimmel
schwebt der Mond über dem Wasser
betrachtet den stillen See:
Aber eine kleine Welle vom Ufer
verdeckt sein Bild«,
     
     
    rezitierte er und runzelte dann die Stirn. »Das ist nicht sehr gut übersetzt. Bedauerlicherweise bin ich, was spontane Poesie angeht, aus der Übung.«
    »Was für eine Sprache war das?«, fragte Lisa und kannte doch die ganze Zeit schon die Antwort.
    »Japanisch. Das Japanisch meiner Jugend«, antwortete er und nahm die Sonnenbrille ab. Um seine Augen waren dünne Linien, faltige Haut, milchig wie Reispapier. Als sie in die schwarzen Tiefen seines Blickes starrte, musste sie an ein anderes Augenpaar denken, rauchig grau und so alt wie sterbende Sterne. Die Augen eines Vampirs.
    »Sehen Sie.« Die weiche Stimme holte sie in die Wirklichkeit der Hotelbar zurück. »Ich brauche nichts von dem Vampir, dem Sie in dem Dale-Labor begegnet sind.«
    »Sie hätten mich zwingen können, es Ihnen zu sagen. Wann immer Sie wollten, hätten Sie mich dazu zwingen können«, flüsterte sie, und er lächelte. Das Lächeln ließ ihn wie einen wohlwollenden Buddha erscheinen.
    »Natürlich. Aber ich bin ein alter Mann und weit über das Stadium hinaus, wo es mir Freude macht, jungen Frauen Angst einzujagen. Und jetzt können wir vielleicht bezahlen und woanders hingehen. An einen weniger öffentlichen Ort, um dort unser Gespräch fortzusetzen.«
    Sie nickte, immer noch benommen, und sah zu, wie er den Kellner herbeiwinkte und den Rechnungsbetrag sowie ein großzügiges Trinkgeld auf dem Tisch zurückließ. Als er aufstand, wurde ihr zu ihrer Verblüffung bewusst, wie klein er war, nicht viel größer als ein Meter fünfzig. Solange er ihr gegenübergesessen hatte, war das dunkle Gewicht seiner Präsenz überwältigend gewesen. Ein verrückter Impuls, laut hinauszulachen, stieg in ihr auf, aber dann streckte er ihr die Hand hin, und die Anwandlung verflog wieder. Sie rutschte aus der Nische, ohne ihn zu berühren. Er schien davon nicht beleidigt, sondern ließ bloß die Hand fallen und führte sie aus der Bar in die Hotelhalle.
    Während der Aufzug sie in seine Suite hinauftrug, sprachen beide kein Wort. Drinnen sah sie sich im Wohnzimmer um, suchte Akiko, fand aber keine Spur der jungen Frau. »Sie ist nicht hier«, sagte Fujiwara.
    »Ist sie …?«, begann Lisa, hielt dann aber inne und erinnerte sich daran, wie die Frau im hellen Sonnenschein durch den Garten weggegangen war.
    »Nein. Sie ist ebenso sterblich wie Sie. Bitte setzen Sie sich.« Er wies höflich auf die lange Couch, aber an der Geste war etwas Befehlendes, und sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er seit langer Zeit gewöhnt war, dass man ihm gehorchte. Sie setzte sich und verspürte das erste Zittern der Angst, als er sich neben ihr niederließ, statt auf einem der Sessel Platz zu nehmen. »Und jetzt sagen Sie mir, was in Havendale wirklich geschehen ist.«
    Zuerst kamen ihre Worte zögernd, stockend, dann brachen sie in einem wilden Schwall aus ihr heraus. Zum ersten Mal berichtete sie das wahre Ende der Geschichte: Die Entführung Sara Alexanders, wie Ardeth sich gestellt hatte, und wie dann Rossokow und Mickey gekommen waren, um die beiden zu befreien. Ihre Entscheidung, den Vampiren bei der Flucht zu helfen, und dann, bevor das Feuer ausbrach, zu fliehen. Sie staunte, wie wenig die Yakuza wirklich wussten. Fujiwara hatte nie von Ardeth gehört – nur Rossokow hatten sie in den Filmen gesehen.
    »Woher wissen Sie, dass nicht alle in dem Feuer ums Leben gekommen sind?«, fragte Fujiwara, als sie geendet hatte.
    »Ich weiß, dass Ardeths Schwester Sara nicht gestorben ist. Sie tritt mit einer Rockband in Toronto auf, und ich habe Plakate gesehen, dass sie hier draußen spielen. Und wenn sie überlebt hat, dann gilt das sicherlich auch für die anderen.«
    »Und der Polizei und Mr. Yamagata haben Sie von alldem nichts gesagt?«
    »Wie konnte ich? Die hätten mich entweder für verrückt gehalten, oder das Ganze hätte wieder von vorne

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