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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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sich dann aber doch Ardeth zu. »Und Sie?«
    »Ich habe meine Doktorarbeit in Geschichte an der Universität von Toronto geschrieben. Merkt man das?« Die Frau lachte ein wenig.
    »Eigentlich nicht. Aber wenn Sie dieses Buch kennen, dann liegt der Schluss nahe, dass sie auf der Universität waren.«
    »Ja, viele Jahre lang«, gab Ardeth zu. Sie hatte lange nicht mehr über diese zehn Jahre nachgedacht. Die letzten sechs Monate war ihr jene Zeit ebenso fern vorgekommen, wie ihre frühe Kindheit.
    »Haben Sie Ihre Doktorarbeit abgeschlossen?«
    »Nein. Mir ist etwas … dazwischengekommen.«
    »Ich weiß, wie das ist. Ich habe auch fünf Jahre gebraucht, um die meine über das Drama in der Renaissance fertig zu bekommen.« Sie klappte das Buch zu und streckte Ardeth die Hand entgegen. »Ich heiße Kate Butler.«
    »Ardeth.« Ihren Familiennamen nannte sie nicht.
    »Wo geht die Reise hin?«
    »Zurück nach Toronto. Und Sie?«
    »Winnipeg. Ich war zu Besuch bei meinen Eltern in Saskatchewan. «
    »Wie weit ist es noch bis Winnipeg?«
    »Ein paar Stunden auf dem Highway. Wollen Sie dort Station machen?«
    »Das weiß ich noch nicht«, gab Ardeth zu und brachte es fertig, verlegen zu blicken. »Das kommt darauf an, ob mich jemand mitnimmt.«
    »Sie trampen?«, fragte Kate ungläubig. »Das ist ja nicht gerade die ungefährlichste Methode zu reisen.«
    »Das dürfen Sie laut sagen. Aber ich muss nach Toronto zurück, und anders schaffe ich es nicht.«
    »Also, bis Winnipeg kann ich Sie mitnehmen. Solange es Ihnen nichts ausmacht, mir Insiderinformationen über den Englischlehrstuhl der University of Toronto zu geben.«
    Ardeth lächelte. »Einverstanden.«
    Eine Viertelstunde später waren sie unterwegs. Kates zerbeulter Honda summte dahin und übertönte beinahe die Musik von U2. Ardeth hatte pflichtschuldig alles an Fakten und Klatsch berichtet, woran sie sich von der Universität erinnern konnte. »Suchen Sie dort eine Stellung?«, fragte sie schließlich. Kate zuckte die Achseln.
    »Langfristig habe ich das vor. Ich muss noch zwei Jahre warten, aber es kann ja nie schaden, wenn man sich auf dem Laufenden hält.«
    »Warum geht es denn nicht früher?«
    »Meine Eltern sind nicht mehr die Jüngsten«, antwortete sie nach einer Weile. »Meine Brüder und Schwestern wohnen zwar alle in der Nähe und kümmern sich um die Farm und all das, aber … Sie wissen ja, wie das ist.«
    Ardeth nickte, und wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihre Eltern waren vor fünf Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, und sie hatte mittlerweile aufgehört, um sie zu trauern. Was wäre wohl, wenn sie noch am Leben wären?, fragte sie sich zum ersten Mal. Würde das etwas ändern? Könnte ich nach Hause gehen? Was würde für sie wohl schlimmer sein – mit dem Geheimnis um das Verschwinden ihrer Tochter zu leben, oder mit dem Wissen, was aus ihr geworden ist? Plötzlich war sie froh, dass sie diese Entscheidung nie hatte treffen müssen, dass Sara ihre einzige lebende Verwandte war. Sie fröstelte bei der unbewussten Ironie des Gedankens. Meine einzige lebende Verwandte. Die einzige Blutsverwandte. Aber da war natürlich noch jemand. Er lebte, wenn er auch nicht gerade ein Sterblicher war. Und sie war durch Blutsbande mit ihm verbunden, durch den Geschmack seines Blutes in ihrem Mund und dem Gefühl seiner Zähne, die sich in ihr Fleisch bohrten.
    Der Gedanke ließ sie frösteln und erfüllte sie mit Furcht und Sehnsucht. Ich habe meinen Blutsverwandten zurückgelassen, dachte sie. Ich habe meine Eltern lange vor dem Unfall verlassen. Ich habe überlebt, dass ich sie verlassen und später verloren habe. Ich werde auch überleben, dass ich Rossokow verlassen habe.
    Kate hatte wieder angefangen, zu reden: über die Universität von Winnipeg und ihre Studenten, über ihre Forschungsarbeit, ihren Lebensgefährten, ihr Leben. Ardeth ließ ihre Worte an sich vorbeiplätschern und spürte, wie sie die Erinnerung milderten. Sie fühlte, wie sie in ihre eigene Gedankenwelt hineingezogen wurde: zu Erkenntnissen über ihre abgebrochene Doktorarbeit und die vergessenen Leiden und Freuden der akademischen Welt, die so viele Jahre lang für sie ein Zuhause gewesen waren. Kate und sie hatten unterschiedliche Universitäten besucht und in unterschiedlichen Disziplinen ihre Examina abgelegt, aber dennoch hatten sie dieselben Freuden und dieselben Widrigkeiten erlebt, und die gleichen Einsichten über so manche Unsinnigkeit und Absurdität

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