Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
Ungeheuer, die man heutzutage unter dem Begriff »Vampir« verstand. Die kalte Kontur seines Profils, als er all die Versprechungen in Asche verwandelte.
Einen Augenblick lang war der Schmerz schier unerträglich, und so ertränkte sie ihn auf die einzige Weise, die sie kannte, so wie ihr sterbliches Ich ihn vielleicht mit Wein weggespült und wie ein anderer ihn vielleicht mit Rauschgift weggeträumt hätte. Der Junge, der immer noch im Bann der Schmerzmittel war, die er sich ausgesucht hatte, zitterte und stöhnte unter ihr.
Schließlich stieß sie sich von ihm ab und lehnte sich zurück, und ihre Hände griffen an ihren Mund, um etwas zurückzuhalten, das sich auf erschreckende Weise wie ein Schluchzen anfühlte.
Sie tastete sich ans Fenster und zwängte sich nach draußen, ließ den Jungen bewusstlos auf der Couch zurück, ohne zu wissen, was mit ihm geschehen würde.
Sie fand den Weg zu ihrem alten Apartment, ging durch die stillen Straßen, ohne sie wahrzunehmen.
Und auf den Stufen zu ihrem Apartmentgebäude fand sie jemanden, der auf sie wartete.
Die Frau stand auf der breiten Steinterrasse im Schatten der Säulen, die den Eingang zierten. Ardeth hatte gesehen, wie sie aus dem Wagen gestiegen war, der an der Straße parkte, und auf das Gebäude zugegangen war. Sie hatte instinktiv ihre Schritte verlangsamt, um der Frau genügend Zeit zu lassen, zu ihrer eigenen Wohnung zu gelangen, ehe sie selbst das Gebäude betrat.
Aber da stand sie jetzt und wartete, als Ardeth die Treppe zu der alten Villa hinaufstieg, die man während des Immobilienbooms der Stadt in Eigentumswohnungen umgewandelt hatte.
Das hat nichts mit mir zu tun, sagte sich Ardeth und registrierte unwillkürlich die dunkle Kleidung der Frau und den braunen Kreis ihres Gesichts unter dem schwarzen Haar. Sie hat ihren Schlüssel vergessen, oder sie wartet, dass jemand herunterkommt und sie abholt. Sie nickte ihr zu, als sie nach dem Türknauf griff.
»Guten Morgen, Miss Alexander.«
Ardeth erstarrte, die Hand immer noch am Türknauf, und drehte dann langsam ihren Kopf herum. »Tut mir leid. Sie müssen mich mit jemand anderem verwechseln«, sagte sie. Die Lüge stellte sich automatisch bei ihr ein.
»Nein. Sie sind Ardeth Alexander. Bitte seien Sie nicht beunruhigt. Ich bin nicht hier, um …«, sie hielt inne, als suche sie die richtige Formulierung, »um Ihnen in irgendeiner Weise Schaden zuzufügen.«
Ardeth ließ die Tür nicht los. Ihre sämtlichen Sinne waren aufs Höchste angespannt, versuchten festzustellen, ob die Frau alleine war oder ob noch andere in den Schatten, die sie umgaben, warteten. Wenn sie nichts von dem Ultraschall wissen, bin ich außer Gefahr, sagte sie sich verzweifelt. Wenn sie das nicht haben, dann können sie mich nicht festhalten. Wenn sie nichts von der Waffe wissen, die Rossokow in einen anhaltenden Zustand des Wahnsinns versetzt hatte, der Waffe, die sie fast umgebracht hätte … Sie verdrängte die Erinnerung an den Schmerz, der sie völlig hilflos hatte werden lassen. Aber die Frau war anscheinend alleine, und einen Augenblick lang wuchs Ardeths Zuversicht wieder. Dann wurde ihr bewusst, dass das viel beängstigendere Konsequenzen haben könnte als jedes andere Szenario. Wenn sie hier mitten in der Nacht alleine mit mir ist, dann heißt das, dass sie keine Angst hat.
»Woher kennen Sie meinen Namen?«, fragte sie schließlich, nachdem sie entschieden hatte, dass es besser war, so viel zuzugestehen und herauszufinden, was die Frau wollte. Besser jedenfalls, als das Ganze in die Länge zu ziehen.
»Dr. Takara war so freundlich, meinem Arbeitgeber von Ihnen zu erzählen. Er hat mich hierhergeschickt, um Ihre Schwester zu finden, die äußerst überzeugend gelogen hat, dass sie Sie seit Monaten nicht mehr gesehen habe und dass Sie wahrscheinlich tot seien.«
»Was wollen Sie?«
»Mein Arbeitgeber würde sich gerne mit Ihnen treffen. Und er würde gerne wissen, wo er Dimitri Rossokow finden kann.«
»Wer ist ihr Arbeitgeber?«
»Sein Name ist Sadamori Fujiwara. Er ist einer von Ihnen.«
»Einer von was?«
»Von jenen, die gestorben und nicht gestorben sind. Ein Vampir.«
Zitternd ließ Ardeth die Tür zufallen und trat einen Schritt vor. Ruhige, schwarze Augen blickten in die ihren. Ardeth streckte die Hand aus und berührte die Schulter der anderen Frau, schloss kalte Finger hart um Tuch und Fleisch und Knochen. »Beweisen Sie es«, sagte sie schließlich.
Die Wohnung war dunkel, als Ardeth die
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