Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
Vom Netzwerk:
gehören.
    Er dachte daran, ihre hellroten Münder zu küssen, die Venen unter der zarten Haut an ihrem Hals zu finden.
    Aber …
    Es würde dennoch Arbeit sein. Er würde beträchtliche mentale Kraft einsetzen müssen, um sie zu beruhigen und zu bezwingen. Er würde einen abgeschiedenen Ort finden müssen, um ihre Willfährigkeit auszunutzen. Er würde die Erinnerung an die Begegnung aus ihrem Bewusstsein löschen müssen.
    Und wenn er sein Gesicht an den schwarzen Seidenglanz ihres Haares legte, würde er sich davon abhalten müssen, sich vorzustellen, es handele sich um Ardeth.
    Er lächelte ein bedächtiges, überlegtes, drohendes Lächeln. Ihre geröteten Wangen wurden bleich, ihr Lächeln verblasste. Dann waren sie verschwunden, wandten ihm in würdevollem Rückzug den Rücken zu.
    Rossokow blickte blind auf das Buch, das er in der Hand hielt, und stellte es dann ins Regal zurück. Das ist also die Freiheit, dachte er bitter. Es musste doch ganz sicherlich irgendjemanden in dieser Stadt geben, der ihn nicht an Ardeth erinnerte. Es musste Frauen geben, in deren Lächeln nichts von ihr lag, deren Haut sich nicht wie die ihre anfühlen würde, deren Münder nicht wie der ihre schmecken würden. Wenn er keine Frau finden konnte, dann musste es doch sicherlich einen Mann geben, der ihn nicht an sie erinnern würde. Aber die Männer dieser Stadt waren sich alle zu ähnlich. Sie würden ihn an den Kletterer denken lassen, und dann würde er wieder da stehen, wo er angefangen hatte. Wenn es einen Sterblichen gab, der nicht nur ein Ersatz für sie wäre, gestand er sich schließlich ein, dann würde er ihn heute Nacht nicht finden.
    Als er wieder auf die Straße hinaustrat, waren Wolken aufgezogen und verdeckten die Sterne. Er seufzte und schickte sich an, zu seinem Apartment zurückzukehren.
    Als er oben an der Treppe angelangt war, bemerkte er, dass etwas neben der Tür lag. Er blickte verblüfft darauf, hob dann wieder den Kopf und sah sich in der stillen leeren Gasse um. Aber da draußen war kein Leben zu spüren, kein Bewusstsein, das ihn von einem verborgenen Ort aus studierte. Vorsichtig beugte er sich wieder vor, um das kleine Päckchen aufzuheben, und eilte dann ins Innere seiner Wohnung.
    Er knipste das Licht an, setzte sich und drehte das seltsame Geschenk einen Augenblick lang in den Händen. Das Papier, in das es eingehüllt war, war dünn und fein und zeigte ein Muster aus weißen Blumen und den eleganten Formen von Kranichen. Darunter konnte er die Umrisse eines Buches spüren.
    Konnte es sein, dass es von Ardeth kam? War sie zurückgekehrt und hatte ihm das Päckchen als Friedensangebot hingelegt? Aber irgendwie wollte das nicht zu ihr passen.
    Vielleicht dieser Kletterer, dieser Mark Frye. Hatte er es als Geschenk für Ardeth hingelegt, in der Hoffnung, sie sei zurückgekehrt? Aber dann hätte man eigentlich annehmen müssen, dass er es irgendwie an sie adressiert hätte, wo er doch wusste, dass sie nicht alleine lebte.
    Aber um das festzustellen, gab es natürlich nur eine Lösung. Er würde das Papier entfernen und das Buch aufschlagen müssen. Zumindest das konnte er ja tun. Das würde keinen großen Entschluss erfordern, keine erschreckende Verpflichtung, das hatte nichts mit Recht oder Unrecht zu tun.
    Er verspürte einen Nadelstich distanzierter Abscheu vor sich selbst, als er das Papier aufriss. Das Buch selbst war erstaunlich robust und in dunkles Leder gebunden, womit für ihn feststand, dass es älteren Datums war, als es aussah. In der Mitte des Einbanddeckels war eine Art Wappen eingeprägt, eine Anordnung stilisierter Blumen.
    Neugierig schlug Rossokow das Buch auf. Das Papier war dünn und braun vom Alter. Die Schrift begann auf der dritten Seite, spinnenartige feine Schriftzüge, die einige Buchstaben seltsam und doch schön erscheinen ließen. Obwohl es auf den ersten Blick nicht danach aussah, war der Text in englischer Sprache verfasst.
    Die Dame des Herbstmondes …
    Die Nacht war vergessen, und Rossokow – immer noch in seinen Mantel gehüllt – begann zu lesen.

19
     
    Were we to make
A thousand autumn nights
Into one,
There would still be things to say
At cockcrow.
     
    Tales of Ise
     
    Wollten wir
eintausend Herbstnächte
zu einer machen,
gäbe es immer noch Dinge zu sagen
beim Hahnenschrei.
    Die Geschichten der Ise
     
    Die Dame des Herbstmondes
     
    Als die Chrysanthemen in voller Blüte standen und die Blätter anfingen, die Farbe zu wechseln und abzufallen, wurde

Weitere Kostenlose Bücher