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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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wieder auf diese Weise zurückgewinnen, sagte er sich düster. Du hast die Sterbliche in ihr getötet, als du sie zu einem Vampir gemacht hast. Vielleicht ist das der wahre Fluch des Vampirismus – wir zerstören das, was wir lieben, indem wir es in unsresgleichen verwandeln.
    Er setzte sich langsam auf und verspürte die ersten Regungen von Hunger.
    Vielleicht sollte er heute Nacht in der Stadt jagen. In diesem Ort gab es außer der vergesslichen Ärztin noch andere Frauen. Er könnte in eine der Bars gehen, dort würde sicherlich eine zu ihm kommen, eine einsame Einheimische oder eine abenteuerlustige Touristin. Ardeth war aus seinem Leben fortgegangen. Es gab keinen Grund mehr, seine Nahrungsaufnahme auf Elche zu beschränken.
    Rossokow saß auf der Bettkante und stützte den Kopf auf die Hände, wohlwissend, dass er der Müdigkeit Widerstand leisten sollte, die sich über ihn legte. Wenn er sich jetzt nicht dazu zwang, würde er das tun, was er immer tat. Wenn die Nacht klar war, würde er zum Observatorium gehen. Wenn nicht, würde er in der Wohnung bleiben und die komplizierten, verblüffenden Theorien der Wissenschaft dieser neuen Welt lesen. Wie auch immer der Abend begann, er würde in den Wäldern enden, mit dünnem, unbefriedigendem Tierblut in seiner Kehle.
    Schließlich stand er auf und trat ans Fenster, schob die dichten Vorhänge ein wenig auseinander, um über die Aktivitäten der Nacht aufgrund des Zustandes des Nachthimmels zu entscheiden. Er hatte wieder bis weit in den Abend hinein geschlafen, und jetzt lag die Nacht über der Stadt. Über ihm funkelten die Sterne in kaltem Spott.
    Er kleidete sich an, ohne Licht einzuschalten, und ging ins Wohnzimmer, um sich mit den Händen durchs Haar zu streichen und dann in seinen langen Mantel zu schlüpfen, ehe er nach dem Türknauf griff.
    Einen Augenblick lang stand er in der winzigen Diele. Das Observatorium würde ihn erwarten, bequem und unkompliziert. Die Entscheidung, dorthin zu gehen, war eigentlich gar keine Entscheidung.
    Schau doch, was das letzte Mal passiert ist, als du eine Entscheidung trafst. Du hast sie vertrieben.
    Nein, sagte er sich, sie ist weggegangen. Ich habe ihr die Wahl gelassen, bei mir zu bleiben, und sie ist weggegangen und hat die Fragen und die Einschränkungen mitgenommen. Das mindeste, was du jetzt tun kannst, ist, deine Freiheit zu genießen.
    Dieser Gedanke schien ihm Entscheidung genug. Als er auf der Straße angelangt war, lenkte er seine Schritte zur Banff Avenue statt zum Observatorium.
    Die Läden waren noch geöffnet, ebenso die Cafés und Restaurants. Er blieb in der Tür einer Bar stehen, aber der Lärm war ihm zu stark, und so ging er weiter, die kleinen Grüppchen von Touristen auf der Straße betrachtend. Schließlich zog ihn eine Buchhandlung an, und er gab dem Impuls nach. Er schlenderte zwischen den Regalen hindurch, ließ seine Blicke über Titel und Cover schweifen. Die Bücher hatten etwas beruhigend Solides, wenn er sie in den Händen hielt. Selbst ihr Geruch verbreitete Behagen.
    Als er in der Wissenschaftsabteilung stand und überlegte, ob er seine Studien ausweiten und die neuen Grenzen einbeziehen sollte, die Computer und künstliche Intelligenz darstellten, stieß ihn jemand an. Er drehte sich um, und zwei dunkle Augenpaare sahen ihn an.
    Frauenstimmen murmelten eine Entschuldigung in einer Sprache, die er nicht verstand. Er bemerkte den schwarzen Seidenglanz ihres Haares, das weiße Flackern ihres Lächelns. »Schon gut. Mir ist nichts passiert.« Sind die beiden Schwestern?, fragte er sich, als sie wieder etwas Unverständliches sagten, und ihre Wimpern im gleichen Takt ihre braune Wangen berührten. Einen schwindelnden Augenblick lang verspürte er das Pulsieren ihres Blutes, nicht im Gleichklang, sondern abgesetzt voneinander, so dass es in seinem Bewusstsein wie ein stetiges Brausen erschien.
    Ganz plötzlich wurde ihm bewusst, dass sie mit ihm flirteten.
    Es wäre so einfach. Es würde nichts von den sorgfältig gewählten Worten, dem Spiel aus Versprechungen und Lügen erfordern, die er in einer der Bars brauchen würde. Sie glaubten, dass die Sprachbarriere ihnen Sicherheit bot, ihnen diesen kurzen Augenblick der Erregung an einem öffentlichen Ort erlaubte. Für ihn bedeutete diese Barriere überhaupt nichts – er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass die Macht seines Willens über das gesprochene Wort hinausging. Er brauchte bloß seinen Willen einzusetzen, und sie würden ihm

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