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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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würde … Was würde dann geschehen? Würden seine Augen kalt werden, seine Stimme zu Eis, und würde er ihr erneut befehlen, fortzugehen? Würde er sie küssen und sie lieben und ihren Namen auf jene ganz besondere Weise aussprechen, die in ihr alle Barrieren zum Zerschmelzen brachte? Und selbst wenn er es tat, würde es am Ende irgendeinen Unterschied machen?
    Aber wenn sie hierbliebe … würde sie es fertigbringen, selbst an die fiktive Zukunft zu glauben, die sie sich zusammengesponnen hatte? Würde sie sich mit der Realität verstohlener, mitternächtlicher Nahrungsaufnahme bei Fremden, für die sie nicht mehr als ein seltsamer, krankhaft erotischer Traum war, zurechtfinden? Konnte sie umkehren und tausend geschriebene und auf Zelluloid gebannte Fantasien ausleben?
    Einen Augenblick lang überkam sie Verzweiflung. Es schien keinen Weg zu geben, der nicht Schmerzen versprach. Dann flüsterte ein Echo in ihr: »Er ist sehr alt und möchte sich mit seinesgleichen treffen.«
    Er ist sehr alt, dachte sie plötzlich. Vielleicht hat Dimitri Unrecht. Vielleicht müssen wir keine Einzelgänger sein. Vielleicht gibt es irgendwo Vampire, die einen Weg des Zusammenlebens gefunden haben. Wenn es einen solchen Weg gibt, wenn es vielleicht etwas gibt, was weder Dimitri noch ich sehen können, dann kennt Sadamori Fujiwara es vielleicht.
    Und wenn nicht? Kann ich es ertragen, das alles noch einmal durchzumachen? Kann ich die Hoffnung ertragen, dass dieser andere Vampir eine Antwort hat, um dann herauszufinden, dass es nicht so ist?
    Kann ich es ertragen, hierzubleiben und mir stets diese Frage zu stellen?
    Sie schlug die Augen auf und sah ihre Schwester an. »Du willst bloß die Wohnung zurückhaben«, sagte sie. Einen Augenblick lang sah Sara aus, als habe sie sie ins Gesicht geschlagen, das Gesicht von Schuldgefühlen gerötet. Aber dann schien sie in Ardeths Blick deren Entschluss zu sehen und grinste.
    »Da hast du verdammt Recht.«

22
     
    Die Geschichte von Tamakatsura
     
    Ich war siebzehn, als mein Onkel aus den Provinzen zurückkehrte.
    Ich wusste nicht, dass mein Vater seinen unbekannten Halbbruder aufgenommen hatte, erfuhr es erst einige Tage nach seiner Ankunft, weil ich damals nicht zu Hause lebte, sondern am Hof, als Hofdame der jungen Prinzgemahlin, Prinzessin Masahime.
    Mein Vater schickte mir einen Brief, um mich von der Ankunft seines Bruders und vom Tod seines eigenen Vaters, jenem Großvaters, den ich nie zu Gesicht bekommen hatte, zu unterrichten. Eine der Dienerinnen brachte mir den Brief, als meine Dame und ihr Gefolge – sorgfältig von einem Bambusgitter abgeschirmt – auf einer der Veranden des Palastes ein wenig Luft schnappten.
    Die Prinzessin sah, dass ich etwas las, und fragte mich, was für Neuigkeiten ich erfahren hätte.
    »Mein Vater sendet mir Nachricht. Sein Vater, der im Norden gedient hat, ist gestorben, und sein Halbbruder ist in Heian-kyo eingetroffen.«
    »Aus den Provinzen?«, fragte Yugao, eine der anderen Damen. »Was beabsichtigt Euer Vater mit einem solchen Mann anzufangen? Er wird ihn doch sicherlich nicht bei Hofe einführen. «
    »Das weiß ich nicht. Ich nehme an, das wird davon abhängen, was für ein Mensch mein Onkel ist.« Ich sah wieder auf die Schriftrolle, entdeckte aber in dem Brief meines Vaters keine Hinweise darauf. Als ich sie zusammenrollte und wegsteckte, beschloss ich, für meinen Großvater Sutren zu sprechen, weil die Seele eines von Straßenräubern ermordeten Mannes sicherlich Gebete brauchen würde, um den Weg aus dieser in die nächste Welt zu finden. Wenn sein nach Rache heischender Geist zurückblieb, würde er ohne Zweifel die Straßenräuber verfolgen, aber Geister waren nicht dafür bekannt, besonders vernünftig zu sein, also war es das Beste, keine Risiken einzugehen.
    »Ich hoffe, er ist nicht wie dieser schreckliche Yugiri«, sagte Koi, und ich erinnerte mich an die Gestalt des Generals, wie er in seiner eisernen Rüstung durch die Gänge des Palastes schritt, den Hut schief auf dem Kopf, das Gesicht schwarz von Bartstoppeln. Koi hatte hinter dem sicheren Schutz ihres Wandschirms mit ihm geflirtet, dann aber insgeheim über seine schwerfälligen Verse und seine ungelenke Schrift gelacht. Die Szene, die sich abgespielt hatte, als sie ihn abgewiesen hatte, war wenigstens einen Tag lang der Skandal des ganzen Hofes gewesen, bis zum nächsten Skandal. Koi spuckte immer noch aus, wenn sein Name erwähnt wurde, aber mir hatte er insgeheim leidgetan.

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