Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
Möglicherweise hat der Wahnsinn mich aus einem bestimmten Zweck am Leben erhalten, den mein klarer Verstand erkennen wird.« Seine Stimme klang so ernst, dass Ardeth unwillkürlich lachen musste.
»Ich glaube das einfach nicht. Da sitze ich halbnackt, wurde fast vergewaltigt und diskutiere mit einem Vampir über Philosophie.«
»Wenigstens hat es Sie zum Lachen gebracht.« Sie sah zu ihm hinüber. Rossokow hatte ein schwaches Lächeln um die Lippen, er wirkte auf geduldige Weise amüsiert.
»Dann hat es das eben. Sie habe ich hingegen nie lachen sehen.«
»Es gab im letzten Monat nichts, worüber ich hätte lachen können. Aber wir lachen schon, glauben Sie mir das. Am Ende sind wir nicht weniger menschlich als zuvor. Was immer wir als Sterbliche in uns hatten, besitzen wir auch als Vampire. Was sich manchmal ändert, ist jedoch das Verhältnis und die Art und Weise, wie diese Dinge sich ausdrücken.«
»Dann ist es vielleicht gar nicht so schlecht, Vampir zu sein«, sagte Ardeth langsam und griff nach unten, um ihren Slip wieder hochzuziehen.
»Ein leichtes Leben ist es nicht.« In seinem Tonfall war keine Spur von Ironie zu bemerken, nur die Andeutung einer Warnung.
»Aber es ist ein Leben.«
»Das ist es«, räumte Rossokow ein.
Ardeth versuchte, ihr Hemd zuzuknöpfen. Die meisten Knöpfe waren abgerissen, und die wenigen, die noch zurückgeblieben waren, konnten es kaum geschlossen halten. Aber sie war zu müde, sich darum zu sorgen. Sie lehnte den Kopf an die Wand. Die Kerle würden sie töten, so wie sie die anderen getötet hatten. Wie Tony und Conrad. Sie würden ihren Arm ein letztes Mal durch die Gitterstangen stecken, und Rossokow – ganz gleich, wie sanft er das tat oder wie viel Vergnügen er ihr währenddessen bereitete – würde sie aussaugen.
Es war unmöglich, jetzt noch an Flucht zu glauben. Peterson würde ihren Fluchtversuch vielleicht zusammen mit dem Geheimnis seiner eigenen Perversion für sich behalten, aber der Augenblick, der die Zukunft hätte ändern können, war dahin. Sie hatte es versucht und war gescheitert, und jetzt würde sich nie wieder eine Chance bieten.
Sie hatte keine andere Wahl, als hier zu sitzen und auf den Tod zu warten, so wie sie es die ganze Zeit getan hatte, trotz der Illusionen, die sie sich bewahrt hatte. Sie würde hier sitzen, bis zu viel Blut aus ihr herausgesaugt sein würde und Peterson kam, um ihren Körper wie einen Preis wegzutragen. Er würde sie zu den anderen werfen … Und die Vision eines Haufens nackter, geschändeter Körper, jeder mit einem Pfahl durch die Brust, erfüllte ihr Bewusstsein.
Und ein anderes Opfer würde ihre Stelle einnehmen, würde den Arm durch die Gitterstäbe strecken, den Zähnen des Vampirs entgegen.
Der Hass war weiß glühend und flammte so plötzlich in ihren kalten, betäubten Nerven auf, dass es ihr beinahe den Atem raubte. Es war mehr als Wut über die Verkettung von Umständen, die sie hierhergebracht hatte. Mehr als Zorn über die Menschen, die mit solcher Gleichgültigkeit Leben beendeten. Sie wollte, dass die dafür bezahlten. Und sie wollte es mehr, als sie je irgendetwas in ihrem Leben gewollt hatte. Oh, Roias quälen zu können, wie er sie so gleichgültig gequält hatte. Sie malte ihn sich auf seinen Knien aus, wie er um Gnade winselte – etwas, das sie nie getan hatte –, sah ihn vor sich, wie er sich angsterfüllt unter ihrem wilden, triumphierenden Lächeln wand, unter der grausamen Glut in ihren Augen …
Und dann wusste sie es.
Ardeth richtete sich auf und saß einen Augenblick lang völlig reglos da. Es war Wahnsinn – und die Tatsache, dass sie es so einfach akzeptierte, war noch wahnsinniger. War es jetzt passiert, ohne dass sie es bemerkt hatte? War jener Augenblick gekommen, wo sie über die Grenze des Wahnsinns gerutscht war? Aber wahnsinnig oder nicht, es war der einzige Ausweg, der jetzt noch blieb.
Sie schlug die Augen auf und sah Rossokow an. Er beobachtete sie von seiner Pritsche aus, und langsam trat Neugierde anstelle der Sorge in seine Augen. »Wären diese anderen Mädchen …«, begann sie vorsichtig, »zurückgekommen?«
»Nein. Wenn man bloß durch die … Zuwendung eines Vampirs stirbt, … macht einen das noch nicht zum Vampir. Wenn das so wäre, würde es viel zu viele von uns geben. Man muss dazu das Blut miteinander teilen und«, er hielt kurz inne, »kurz darauf sterben. Warum wollen Sie das wissen?«
»Weil ich nicht lebend hier herauskommen werde.« In die Stille
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