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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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Gesicht. »Und da wollen Sie hinein?«
    »Warum nicht? Jetzt ist niemand da.« Sie hatte sich davon vergewissert, als sie das Haus tagsüber als Zufluchtsort in Betracht gezogen hatte.
    Er fröstelte, und sein Blick kehrte zu dem mit Brettern vernagelten Fenster zurück. Zeit, die Einsätze zu erhöhen, Zeit, ihm den kleinen Schubs zu verpassen, den er noch braucht. Sie bewegte sich etwas zur Seite, lehnte sich gerade so weit an ihn, dass er ihren Atem fühlen, das Zittern in ihrem Körper spüren konnte. Sie wusste aus der ängstlichen Faszination in seinen Augen, dass etwas von ihrem Hunger durchgesickert war, der jetzt wie eine flammende Korona um ihre beruhigend normal gefärbte Iris glühte. Aber das war gut so – eine Art von Hunger, eine Art von Zittern konnte leicht mit einer anderen verwechselt werden. Sie wischte ihm einen flüchtigen Kuss über die Lippen.
    »Ich glaube nicht, dass wir …«, flüsterte er unsicher, als sie nach der Regenrinne griff, einen Fuß auf den Fenstersims setzte und sich gelenkig auf das Dach der Veranda schwang. Oben angelangt, kniete sie nieder und blickte zu ihm herab. »Natürlich sollten wir das nicht tun. Deshalb tun wir es ja. Sie wollen doch, oder?« Das war in Wirklichkeit keine Frage. Er wollte. Alle wollten sie es. Das schon lange tote Mädchen, das sie einmal gewesen war, hatte es gewollt. Hatte das Verbotene gewollt und dennoch davor Angst gehabt. Gewollt – trotz der Gesellschaft, ihren Moralvorstellungen und Gesetzen. Hatte tun wollen, wonach sie sich gerade sehnte, sofort und gleich, von dem Wunsch erfüllt, dass etwas Stärkeres, Dunkleres als sie selbst kam und sie dazu zwang.
    Er blickte kurz zu ihr hinauf und krabbelte dann mit einem geflüsterten Fluch oder einem Gebet schwerfällig neben ihr aufs Dach. »Und wenn uns jemand sieht?«
    »Es wird uns niemand sehen.«
    »Und wenn man uns hört?« Sie nahm sein Kinn in die Hand und beugte sich über ihn, um ihn wieder zu küssen.
    »Sei still, dann hört uns auch keiner.« Ihr Lächeln machte die Worte weicher, brachte ihn aber zum Verstummen. Die Bretter lockerten sich unter ihren starken Fingern und lösten sich dann. Sie zwängte sich durch den schmalen Spalt in eines der Schlafzimmer im Obergeschoss. Er folgte ihr mit kontrollierter Nervosität, hin- und hergerissen zwischen der Angst, ertappt zu werden, und der Sorge, sich den teuren Anzug zu ruinieren.
    »Herrgott, ist das hier drinnen dunkel. Wie sollen wir denn etwas sehen?«
    »Warte.« Sie konnte natürlich perfekt sehen, ließ ihn aber einen Augenblick lang in der Dunkelheit herumtasten, ehe sie die Kerze aus ihrer Handtasche entzündete. Sie hielt die Flamme vor sich und lächelte. »Komm.«
    Das Haus hatte mehr als fünf Jahre lang leer gestanden, bewohnt nur von Staub, Mäusen und einer stetigen Folge von vorübergehenden Gästen. Dann hatte im letzten Sommer ein Sicherheitsinspektor den verstümmelten Leichnam eines verschwundenen Mädchens entdeckt. Wochenlang hatte die Klatschpresse Gerüchte von satanistischen Opferritualen verbreitet, die erst dann ein Ende nahmen, als der nächste Skandal aufkam. Ardeth wusste nicht, ob man je jemanden verhaftet hatte – es war auch unwichtig. Wichtig war nur, dass dieses Haus ein Ort war, von dem dieser adrette, sorgfältig behütete Yuppie nie zugeben würde, dass er ihn aufgesucht hatte, ganz gleich, welcher postkoitale Verdacht in ihm vielleicht hinsichtlich der wahren Natur seiner Verführung – oder seiner Verführerin – aufkam.
    Philip folgte ihr die Treppe hinauf, ihr dicht auf den Fersen, als hätte er Angst, sich zu weit aus dem flackernden Lichtkreis zu entfernen, den sie hielt. Am ersten Treppenabsatz blieb sie stehen, beugte sich über das Geländer und blickte die zwei Stockwerke nach unten, die Kerze hochhaltend. Rote Punkte leuchteten kurz unter ihnen auf und verschwanden dann gleich wieder raschelnd. »Ratten«, sagte sie, und er schauderte und trat noch einen Schritt näher.
    »Carmilla … das war doch ein Scherz, als du meintest, dies wäre das Haus, in dem man dieses Mädchen gefunden hat, oder?«
    »Nein.« Sie nahm seine Hand und schickte sich an, die letzte Treppe hinaufzusteigen. »Das Mädchen war auf einem Schulausflug hier … von irgendeiner Highschool im Norden. Einer katholischen Schule, glaube ich«, sagte Ardeth, ohne ihn dabei anzusehen. »Sie waren im Wohnheim der Universität untergebracht. Sie war losgezogen, um eine Zeitung zu kaufen oder so etwas. Die Polizei meint,

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