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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Baker
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dass man sie ein paar Tage hier im Keller festgehalten hätte – dort unten fand man Ketten. Im Keller gibt es keine Fenster, und die Mauern sind ziemlich dick, also hätte sie niemand schreien hören. Aber es kann natürlich auch sein, dass man sie geknebelt hatte.«
    Hinter ihr stolperte Philip auf der Treppe, und sie blieb stehen, während er sein Gleichgewicht wiederfand, und ging dann weiter, malte die wenigen bekannten Fakten des Falles mit fantasievollen Einzelheiten aus. Die Angst konnte für ihre Opfer ein Aphrodisiakum sein, solange sie am Ende nur dachten, dass sie diese besiegten, indem sie ihren Körper nahmen.
    »In der Nacht des ersten August, das ist die Lammasnacht, brachte man sie hierher. Man hat sie nicht betäubt, also hat sie sich vielleicht während des ganzen Weges diese lange Treppe herauf gewehrt. Vielleicht aber auch nicht.« Einen Augenblick lang schob sich im flackernden Kerzenlicht ein anderes Bild vor ihre Augen, und sie sah eine schmale Treppe und feuchte, blutige Wände. »Weißt du, man wehrt sich nicht immer. Man kann solche Angst empfinden, dass man sich nicht rühren kann. Und dann glaubt man, wenn man nur gehorcht, wenn man nur ›brav‹ ist, wird alles wieder gut. Glaubt, dass die einen dann laufenlassen. Aber das tun die nicht … haben die nicht getan.«
    Endlich hatten sie das oberste Stockwerk erreicht. Es gab dort nur eine Tür, und die stand offen. Ardeth spürte, wie Philips Hand sich in der ihren verkrampfte, aber sie sah ihn nicht an. »Hier haben sie sie reingebracht.« Sie hob die Kerze und ließ das flackernde Licht die Ränder der Dunkelheit im Inneren streicheln. Sie trat vor, spürte, wie seine Hand an ihr zerrte, sie zurückhielt, bis sie ihre unmenschliche Stärke einsetzte und ihn mit sich in die Dunkelheit hineinzog. »Die haben ihr Pentagramme in den Körper geschnitten. Sie hat stark geblutet – aber sie hat noch eine ganze Weile gelebt. Das kann man nämlich, weißt du. Du kannst eine Menge Blut verlieren und trotzdem überleben, wenn du immer nur ein wenig auf einmal verlierst. Das war für die wichtig. Dass sie bis zum Ende am Leben blieb. Bis sie ihr dann das Herz aus dem Leib schnitten.«
    Wieder hob sie die Kerze. Es gab keinen Altar, aber die Umrisse von Pentagrammen wogten wie schwarze Schlangen über die Wände. Ardeth schloss die Augen, sah eine Glühbirne in der Dunkelheit einen langsamen Bogen beschreiben, sah den Schatten von Gitterstäben auf dem Fußboden. »Für die ist das sehr wichtig. Dass man nicht stirbt, bis sie mit einem fertig sind. Dass man nicht stirbt, bis die einen umbringen. Weil du ihnen sonst den Spaß verdirbst. Weil du dann zurückkommen könntest.« Sie bemerkte nicht, dass sie ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte, bis sie das Echo ihrer Stimme in dem leeren Raum hörte.
    »Carmilla …« Er hatte ihr seine Hand entzogen. Sie drehte sich um, bemühte sich, einen Hauch ihres einstudierten verführerischen Lächelns auf ihre Lippen zurückzuzwingen, und erkannte aus seinem stolpernden Schritt rückwärts, dass ihr das misslungen war. Im flackernden Schein der Kerze sah sie, wie das Licht der Erkenntnis den Champagnernebel hinwegbrannte, und wusste, dass er sie klarer sah, als sie das je beabsichtigt hatte. Als er durch die Tür nach draußen floh, ging die Kerze aus.
    Er war auf dem Treppenabsatz, griff nach dem Geländer. Seine Furcht war wie eine Aura aus fahlem Licht. »Philip«, sagte sie, in der Absicht, ihn zu beruhigen, sein Vertrauen zurückzugewinnen – oder ihn wenigstens so lange festzuhalten, bis ihre hypnotischen Kräfte ihr Werk an ihm verrichten konnten. Als er ihre Stimme hörte, zuckte er zusammen und tastete nach der Treppe, glitt auf einem verfaulten Brett aus.
    Seine Hände schlossen sich um das Geländer, doch das Holz am Fuß des Geländers gab nach und zog ihn in die Finsternis des Treppenschachts. Sie hörte, wie er den Atem anhielt, aber er traf auf dem Boden auf, ehe er schreien konnte.
    Sie wartete einen Augenblick oben an der Treppe, lauschte dem Tosen des Blutes in ihren Ohren, welches das ferne Echo von Schreien übertönte. Dann trat sie an den Rand des Treppenabsatzes und blickte nach unten. Sein Körper lag unnatürlich verdreht auf dem staubigen Boden.
    Ardeth fluchte stumm. So hatte es nicht enden sollen. Schließlich ging sie die Treppe hinunter. Sein Blut würde noch eine ganze Weile nicht erkalten.

22
     
    Das Mädchen war groß, mit langem, goldblondem Haar, das ihr bis auf die

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