Die Nacht von Granada
Mann, voller Tapferkeit, Liebe und Güte.«
»So viel verlangt Ihr von mir, Pilar?« Das erste und einzige Mal, dass er sie direkt beim Vornamen genannt hatte.
»Mehr noch.« Sie zog ihre Hand zurück, plötzlich wieder sehr beherrscht. »Lucia und Kamal sind wieder bei uns. Und Rashid …«
Er hob abwehrend die Hand.
»Ihr habt recht, Padre«, sagte Pilar rasch. »Je weniger Ihr wisst, desto besser.« Sie hüstelte. Das Bitten hatte ihr noch nie besonders gelegen. »Kamal ist schwer verletzt. Seine Finger – Ihr habt sie ja im Justizpalast selbst gesehen –, die Verletzung hat sich entzündet. Wenn kein Heilkundiger seine Schmerzen lindert und die Entzündung bekämpft, weiß ich nicht, ob er die Flucht überhaupt überleben wird.«
»So weit wollt Ihr fort?« Seine Augen suchten ihren Blick.
Pilar hielt ihm stand. »Wir wollen tief in die Berge. Nur dort haben wir überhaupt eine Chance.«
»Jetzt? Mitten im Winter?«, sagte der Priester.
»Wir müssen. Wenn wir leben wollen. Und das wollen wir!«
»Dafür werdet Ihr tüchtige Maultiere brauchen.« Die kräftige Männerstimme ließ sie zusammenschrecken.
Aus dem Dunkel des Kirchenschiffes löste sich eine Gestalt, ein Mann in Büßerkutte, den Kopf mit einer Kapuze verhüllt. Als er sie abstreifte, wusste sie, wer da vor ihr stand – Gaspar Ortíz, Miguels Onkel.
»Es ist weit und anstrengend bis in die unberührten Täler der Alpujarras. Erst recht, wenn ein Verletzter dabei ist.«
»Woher wisst Ihr …?«, stammelte Pilar.
»Mein Neffe Miguel! Es gibt wohl so gut wie keinen Vorwurf, den er mir nicht an den Kopf geworfen hätte – zu Recht. Ich habe Eurer Familie unsägliches Leid zugefügt. Und dafür schäme ich mich zutiefst.«
»Weil Ihr damals meine Schwester nicht haben konntet!«, rief sie. »Ist es das, was Euch heute noch quält? Wie gemein und niederträchtig Ihr doch wart.«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein, ich schäme mich, weil ich meinte, mich mit Haut und Haar der Inquisition verkauft zu haben, und keinen Ausweg mehr wusste. Doch der Padre hat mich eines Besseren belehrt. Die unsterbliche Seele ist stets frei. Um ihretwillen werde ich nun nach Santiago de Compostela pilgern, um sie von meinen Sünden reinzuwaschen.«
»Jetzt? Mitten im Winter?«, entfuhr es ihr.
Gaspar lachte. »Meint Ihr nicht, dass auch mir gelingen könnte, was Ihr Euch vorgenommnen habt?« Dann wurde er wieder ernst. »Wie viele seid ihr?«, wollte er wissen.
»Acht.« Die Antwort kam prompt.
»Mein Neffe besitzt bereits ein Maultier, dann bräuchtet Ihr nur noch drei weitere zum Reiten sowie eines als Packtier.« Er schien zu überlegen. »Das dürfte kein großes Problem darstellen.«
Sie sah ihn unverwandt an. »Auch nicht sofort? In dieser besonderen Nacht? Es gibt gute Gründe für uns, nicht länger zu warten.«
Gaspar zögerte kurz, dann aber kam sein erlösendes Kopfschütteln.
»Ich werde die Tiere beschaffen«, sagte er. »Wohin soll ich sie bringen?«
Pilar sog die Luft hörbar durch die Vorderzähne. »Ich soll Euch unser Versteck verraten?«, sagte sie misstrauisch.
»Ihr traut mir nicht?« Gaspar verzog das Gesicht. »Das würde ich auch nicht an Eurer Stelle. Schickt meinen Neffen hierher. In ungefähr drei Stunden. Dann wird alles bereit sein.«
Er wandte sich zum Gehen. Am Taufbecken angelangt, drehte er sich noch einmal um.
»Sagt Miguel, dass ich ihn immer geliebt habe. Er war der Sohn, den ich mir stets gewünscht habe. Wie sehr ich unsere Trennung bedaure! Vielleicht wird er ja eines Tages bereit sein, mir zu vergeben.«
Dann schloss sich das Kirchenportal hinter ihm.
Pilar und der Priester sahen sich an. Eine ganze Weile fand keiner die richtigen Worte.
»Kamal braucht dringend einen Hakim«, brachte sie schließlich mühsam hervor, obwohl sie ihm viel lieber ganz andere Dinge gesagt hätte. »Sonst sieht es nicht gut für ihn aus. Könnt Ihr mir helfen, Padre?«
»Nichts lieber als das, Doña Pilar.« Da war er wieder, der tiefe Graben von Amt und Konvention, der zwischen ihnen klaffte und sie beide bislang erfolgreich vor noch größerem Herzeleid geschützt hatte! »Folgt mir bitte. Ich bringe Euch zu ihm!«
Waren es Mauren oder Christen, die dort draußen an der Tür hantierten?
Tausenderlei Gedanken schossen Emilio durch seinen Kopf. Stunden mussten vergangen sein, seitdem diese verdammten Maurenfreunde aufgebrochen waren, die lediglich der Anblick seines verbrannten Fleisches schließlich zur Mildtätigkeit
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