Die Nacht von Granada
nach dem grausamen Edikt* der Katholischen Könige eine lebenswerte Zukunft in Granada zu ermöglichen.
»Ob sie schon da sind?«, sagte sie leise und wünschte sich plötzlich, er würde sie berühren.
Als könnte Rashid ihre Gedanken lesen, zog er sie plötzlich an seine Brust.
»Ich weiß genau, wie schwer das alles für dich sein muss«, flüsterte er und seine schlanken Finger strichen zärtlich über ihre Wange. »Gerade geht das friedliche Miteinander unserer Kinderjahre, in dem wir beide aufgewachsen sind und das wir geschätzt und geliebt haben, für immer zugrunde. Eines Tages werden wir vielleicht unseren Kindern davon erzählen. Doch damit es überhaupt dazu kommen kann, müssen wir beide jetzt sehr tapfer sein. Versprichst du mir das, Lucia?«
Sie nickte, unfähig, auch nur einen Ton herauszubringen.
Seine Lippen senkten sich auf ihren Mund und plötzlich war alles um sie herum vergessen. Die Angst, der Kerker mit seinem widerlichen Gestank, der noch immer an ihr klebte, der tote Inquisitor. Die schwarzen Fenster und die vielen Tierkadaver, die ihren Weg gesäumt hatten. Es gab nur noch sie und ihn – und diesen köstlichen, wunderbaren, einzigartigen Augenblick. Er schmeckte süß und bitter zugleich, nach Honig und Rauch, nach Glück und Verzweiflung, und sie wünschte sich, dass dieser Kuss niemals enden würde.
Dann löste Rashid sich von ihr, klopfte einmal kurz und danach zweimal lang an die Tür des blauen Hauses, wie sie es vereinbart hatten.
Nach einiger Zeit erschien Miguel, mit wildem Blick und einer Axt in der Hand, als wäre er bereit, gegen ein ganzes Heer von Feinden auf einmal anzutreten.
Hinter ihm entdeckten sie Nuri, die schon die Arme zur Begrüßung ausstreckte.
»Wir sind da, Besserwisser«, sagte Rashid und verzog seinen Mund zu einem angedeuteten Grinsen. »Hilf mir, unseren Vater nach drinnen zu bringen, denn er befindet sich leider in denkbar schlechter Verfassung.« Sein Grinsen wurde breiter. »Und dann lass mich endlich zu meiner Schwester! Darauf warten Nuri und ich schon eine halbe Ewigkeit.«
Pilar lief so schnell, wie sie nur konnte, aber es gab immer wieder Hindernisse, die sie zum Innehalten zwangen. Mühsam musste sie sich durchkämpfen zwischen verkohlten Balken und glimmenden Holzteilen, die auf den Gassen lagen. Dazwischen das Schreien und Weinen der Menschen, die nach Vermissten suchten und nicht fassen konnten, dass ihre Häuser in Brand geraten waren. Wasser, ohnehin seit jeher kostbar und in Granada in höchsten Ehren gehalten, war plötzlich Mangelware geworden, und manch einer musste hilflos mit ansehen, wie vor seinen Augen verbrannte, was ihm lieb und teuer gewesen war.
»Die Mauren haben die Häuser angezündet!«
»Nein, die Christen waren es – tötet sie alle!«
Solche und ähnliche Sätze flogen Pilar um die Ohren, als sie sich durch die verwüsteten Gassen ihren Weg suchte, und am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten, um nichts mehr davon hören zu müssen.
Schwer atmend erreichte sie die Anhöhe, auf der San Nicolás lag, und wandte sich als Erstes zum Wohnhaus des Priesters, doch alle Fenster waren dunkel.
Sofort ging sie hinüber zur Kirche. Das Gotteshaus war dunkel, bis auf ein halbes Dutzend Kerzen, die vor dem Altar aufgestellt waren, und dort, auf den Stufen, fand sie auch Padre Manolo.
Sie erschrak, als er sich zu ihr umwandte.
Sein Gesicht wirkte abgezehrt, als lägen tagelange Exerzitien hinter ihm, die ihm den letzten Rest seiner Kraft gestohlen hatten. Doch als er sie erkannte, erhellte ein kleines Lächeln seine leidenden Züge.
»Doña Pilar!«, sagte er und erhob sich rasch. »Unsere Welt geht dort draußen gerade unter! Was hat Euch durch dieses Inferno zu mir geführt?«
Über ihren ungewohnten Aufzug, der sie wie eine Maurin ausehen ließ, verlor er keine Silbe.
»Ich brauche Eure Hilfe, Padre! Und ich bin auch gekommen, um mich von Euch zu verabschieden.«
Er neigte den Kopf, wie sie es an ihm kannte, doch als er ihn wieder hob, wurde ihr bewusst, wie schwer ihre Worte ihn getroffen hatten.
»Ich werde Euch also verlieren«, sagte er leise. »Wie sehr ich mich seit jeher davor gefürchtet habe!«
Zunächst zögerte sie noch, dann aber streckte Pilar ihre Hand aus und legte sie auf sein Herz.
»Zu einer anderen Zeit und in einem anderen Land«, sagte sie, »hätte es vielleicht eine Zukunft für uns gegeben. Aber nicht hier. Doch mein Herz wird Euch niemals vergessen, Manolo. Ihr seid ein großer
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