Die Nacht von Granada
elend aus. »Zwingt mich nicht dazu, denn das könnte das Ende bedeuten. Für uns alle. Ihr solltet also damit aufhören, mich zu quälen …«
»Lass ihn, Antonio!« Kamal hielt dem Schwankenden einen Becher Mandelmilch vor die Nase, den dieser gierig leerte. »Du siehst doch, dass er nicht antworten wird. Und selbst wenn doch: Was nützen uns fromme Lügen? Viel wichtiger ist, was wir beide entscheiden.« Seine Miene war sehr ernst geworden. »Du willst auf diesen Handel eingehen? Das verwundert mich.«
»Du nicht? Denk doch nur einmal, was wir damit alles für unsere Familien tun könnten!«
Kamal hatte sich abgewandt und erneut Gaspars Zeichnung zur Hand genommen. »Es würde dauern, denn man könnte nur stufenweise verfahren«, sagte er.
»Der Ring muss erst nach dem Christfest fertig sein«, versicherte Gaspar eifrig. »Es bliebe also noch ausreichend Zeit!«
»Ohne Probeschliff geht es nicht«, fuhr Kamal in seiner Muttersprache fort, als hätte er ihn gar nicht gehört. »Das Problem dabei ist, dass Saphir sehr hart ist. Selbst wenn es also gelänge, Bergkristalle in der gewünschten neuen Form umzuschleifen, hieße das noch lange nicht, dass der Hyazinth später keine Tücken bereitet.«
Gaspar schien sich inzwischen wieder gefangen zu haben. Offenbar auf alles vorbereitet, ließ er vor Kamal einen weiteren Lederbeutel baumeln.
»Bis zum Rand gefüllt mit Diamantstaub«, sagte er. Sein Arabisch klang rostig, aber er sprach fehlerlos. »Damit kannst du deinen Schleifstein zum Singen bringen und den Hyazinth zur schönsten blauen Rose machen.« Er hielt ihm seine Rechte entgegen. »Schlag ein, Kamal – dann kann die Arbeit endlich beginnen!«
Jetzt schaute Antonio unbehaglich drein. Seine Au gen suchten Kamals Blick. »Lass dich von ihm nicht unter Druck setzen. Wir haben es bislang geschafft. Wir werden auch weiterhin über die Runden kommen. So viel ist gewiss.«
Kamal ließ Gaspars Hand unberührt, bis dieser sie schließlich wieder zurückzog.
»Du willst darauf eingehen?«, sagte der Steinschleifer leise, wieder zu Antonio gewandt. »Dich wird bestimmt niemand angreifen, aber was ist mit mir, meiner Frau, unseren Kindern?«
»Dir wird auch nichts zustoßen, mein Freund!«, versicherte Antonio.
»Wie kannst du da so sicher sein?«, erwiderte Kamal sorgenvoll. »Tag für Tag werden neue Schrecklichkei ten bekannt, die den Mauren von Granada Kummer und Verzweiflung bringen. Wer kann wissen, was uns noch bevorsteht? Ich hoffe von ganzem Herzen, dass die Sau, die man uns einmal auf den Schlachtstein legt, noch lange nicht geboren wird!«
Irgendwann musste selbst Nuri in ihrem Redeschwall eine Pause einlegen. Sie trank einen Schluck von der Zitronenlimonade, die Saida ihren Mädchen fürsorglich hingestellt hatte.
»Endlich zufrieden? Oder hast du noch immer nicht genug von all den Geheimnissen?«, sagte sie lächelnd. Sie trug nicht länger das düstere, schnell gefärbte Trauerkleid, sondern war zurück in die farbenfrohen Gewänder geschlüpft, die ihre bräunliche Haut zum Strahlen brachten. Wie schön sie aussah, wenn sie so lebhaft war! Eine Blume, die im Sonnenlicht leuchtete. »Dann frag einfach weiter! Ich weiß jetzt so gut wie alles, was im Albaycín so passiert – vor und hinter geschlossenen Fenstern.«
»Ich dachte, ihr wäret bei Fatima zusammengekommen, um gemeinsam zu trauern.« Lucias Gedanken waren schon wieder zu Rashid geflogen. Unten, im Innenhof, hörte sie ihn mit seiner Mutter reden, offenbar kein erfreuliches Gespräch, denn seine Antworten waren knapp und Saida reagierte ungewohnt kurz angebunden.
»Aber das kann man doch nicht tagelang«, rief Nuri und ihr Andalusisch klang wie das Lied eines fröhlichen kleinen Vogels. »Irgendwann macht die Erste einen kleinen Scherz, dann fällt ein Lachen, plötzlich hat eine Zweite etwas ganz besonders Spannendes zu erzählen, worauf wiederum die Dritte …«
Nuris helle Stimme schien an Lucias Ohren abzuperlen, so sehr strengte sie sich an, die beiden da unten zu verstehen.
»Du hast dich an die Regeln deines Vaters zu halten!«, hörte sie Saida nun sagen. »Er ist das Oberhaupt unserer Familie und besitzt die größte Lebenserfahrung. Außerdem ist er ein kluger, besonnener Mann. Wenn du eines Tages selbst eine Familie haben wirst, dann kannst du …«
Rashid ließ sie nicht ausreden, doch der Steinboden und die nackten Wände verschluckten, was er in gereiztem Ton antwortete.
Inzwischen saß Lucia stocksteif da, um
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