Die Nacht von Granada
sollen wir uns von diesen Christen alles gefallen lassen? Diese Zwangstaufe, die sie vorhaben, das ist einfach zu viel!«
»Was geht uns das an?«
Die Wirtin schien sich eines Besseren besonnen zu haben und redete inzwischen leiser. Abermals musste Lucia die Ohren spitzen, um möglichst viel mitzubekommen.
»Das will ich dir sagen! Wir beide könnten auch darunter sein – heute, morgen, übermorgen, wer weiß das schon? Sie fackeln nicht lange. Und dieser junge Kerl dort drinnen, der sie zur Gegenwehr aufruft, gibt den Entmutigten neue Hoffnung. Das gefällt mir …«
»Mir gefällt vor allem unsere Taverne!«, fiel die Wirtin ihrem Mann ins Wort. »Du gehst jetzt hinein und wirfst sie alle raus …«
Lucia hatte genug gehört. Aber konnte wirklich wahr sein, was der Wirt behauptet hatte?
Hernando de Talavera, der Erzbischof von Granada, hatte immer wieder beteuert, dass eine Bekehrung der Mauren zwar erwünscht sei, aber niemand zum Christentum gezwungen werden sollte. Deshalb hielt er auch Predigten in arabischer Sprache, wobei man freilich einräumen musste, dass der erwünschte Erfolg bislang ausgeblieben war. Padre Manolo, ein alter Freund der Familie, hatte sich in letzter Zeit oft genug darüber beklagt.
Plötzlich erschien es ihr nicht mehr so wichtig, was Rashid als Nächstes unternehmen würde. Erst einmal musste sie in diesem wichtigen Punkt selbst Klarheit bekommen. Wie von selbst setzten ihre Beine sich in Bewegung und trugen sie die Anhöhe hinauf, bis zu dem kleinen Platz, an dem die Kirche San Nicolás stand.
»Die Blumen noch ein Stück weiter nach links. Ja, so ist es gut!«, befahl Padre Manolo. »Jetzt stehen sie genau richtig vor den Altarstufen!«
Pilar richtete sich seufzend auf.
»Warum müssen diese Vasen nur so schwer sein?«, murmelte sie und rieb sich den Steiß. »Fühlt sich ja an, als wären sie mit Steinen statt mit Wasser gefüllt!«
»Eigentlich dürfte ich Euch für solche Arbeiten gar nicht missbrauchen, Doña Pilar«, sagte der Priester. »Jede anständige Gemeinde hat einen Mesner, der dafür zuständig ist. Aber Ihr wisst ja – das liebe Geld!« Er zuckte die schmalen Schultern und schien in seinen Messgewändern beinahe zu verschwinden, was ihr Herz zum Überfließen brachte. Wie oft hatte sie ihm schon gesagt, dass er sich schonen solle! Doch sobald jemand nach seiner Hilfe schrie, war er zur Stelle.
»Weil Ihr alles bei den Armen lasst«, protestierte sie schwach, da sie seine Antwort schon kannte. »Eure Liebe, die Gesundheit und auch jeden Blanco*, den Ihr irgendwo abzwacken könnt, steckt Ihr ihnen zu – und beileibe nicht nur den Christen.«
»Menschen müssen essen und trinken, egal ob sie nun an Gott oder an Allah glauben, so einfach ist das. Und wenn sie krank werden, brauchen sie ihre Medizin. Außerdem hat Seine Exzellenz gesagt, dass wir Priester in diesen schwierigen Zeiten als leuchtendes Beispiel vorangehen sollen …«
Er hielt mitten im Satz inne, als er plötzlich Lucia erblickte.
»Ist etwas passiert, Mädchen?«, sagte er besorgt. »Du siehst so aufgelöst aus.«
»Das kommt nur daher, weil sie immer rennen und herumhüpfen muss wie eine Verrückte.« Pilars Tonfall verriet tiefste Missbilligung. »Als wäre sie ein Fratz von gerade mal acht Jahren und kein junges Mädchen im besten Heiratsalter. Wie soll sich da jemals der passende Bewerber einstellen? Ihre Mutter hätte …«
»Meine Mutter ist tot!«, konterte Lucia schnell, um sich die übliche Leier zu ersparen.
Wie konnten Schwestern nur so unterschiedlich sein! Sie war ein Säugling von wenigen Tagen gewesen, als sie gestorben war, doch wenn man Vaters Erzählungen glauben konnte, war seine geliebte Maria stets fröhlich und gut gelaunt gewesen.
Was man von Tante Pilar nicht behaupten konnte.
»Weiß dein Vater überhaupt, dass du hier bist?«, bohrte sie nun unverdrossen weiter. »Du weißt, er schätzt es gar nicht, wenn du allein in der Stadt herumstromerst!«
»Ich muss alles über die geplanten Zwangstaufen wissen«, wandte Lucia sich an den Priester. »Bitte, Padre Manolo, helft mir. Es ist äußerst wichtig!«
»Welche Zwangstaufen? Was redest du da?«, fragte er stirnrunzelnd. »Wer hat dir solchen Unsinn erzählt?«
»Ich hab es gehört«, sagte sie ausweichend. »Unten am Fluss. Die Mauren im Viertel fürchten sich davor. Alle haben Angst, dass etwas Schreckliches geschehen könnte.«
»Aber das müssen sie nicht, denn dazu wird es niemals kommen!« Der Priester
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