Die Nacht von Granada
wollte alles . Dazu gehörte auch, dass sie Monat für Monat auf eine Schwangerschaft hinfieberte, die bislang jedoch ausgeblieben war. Zum Glück, wie Lucia fand. Sie war das einzige Kind ihres Vaters und verspürte wenig Lust, dieses Privileg mit einem Nachgeborenen zu teilen.
Manchmal schien Djamila ihre heimlichen Gedanken zu erraten. Dann verschlossen sich ihre gleichmäßigen Züge und der weiche Mund wurde hart. Sie fing an, ungerecht und kleinlich zu werden, spielte sich mit Anweisungen und Verboten auf, als ob sie Lucias Mutter wäre, zuständig für ihre Erziehung.
Zum Glück verschwanden solche Anwandlungen meist rasch wieder. Die alte Eintracht kehrte zurück, wenngleich sich in den letzten Wochen immer wieder ein gereizter Unterton in ihre Gespräche geschlichen hatte, der Lucia unfroh machte.
»Linsen auszulesen, ist derart öde, dass ein wenig Träumen wohl kaum schaden kann«, erwiderte sie und verfiel absichtlich ins Andalusische. »Dann geht wenigstens mein Geist spazieren.«
»Mir scheint eher, du bist dir für alles und jedes im Haus zu schade«, erwiderte Djamila prompt in ihrer Muttersprache. »Nähen und Sticken willst du nicht lernen, alles in der Küche ist dir zu mühsam, und was das Putzen betrifft, so …«
» … haben wir ja schließlich dich.« Lucia erschrak, wie patzig, ja geradezu hochnäsig ihre Antwort klang.
Djamilas feine Wangenknochen zeichneten sich deutlicher als sonst unter der straffen bräunlichen Haut ab.
»Du musst nicht unverschämt werden, Lucia«, sagte sie verstimmt. »Das habe ich nicht verdient.«
»Das will ich doch auch gar nicht«, protestierte Lucia schwach. »Es ist nur so, dass dieses ständige Herumhocken mich ganz unruhig macht.«
»Das Haus ist nun mal der Platz für die Frauen, während die Männer …«
»Aber ich bin keine Maurin wie du!«, stieß Lucia hervor. »Ich kann gehen, wohin ich will.«
Djamilas Hände begannen leicht zu zittern. Früher war sie ihr freundlich und nachgiebig erschienen, doch inzwischen gewann Lucia immer mehr den Eindruck, dass das, was sich hinter der weichen Fassade verbarg, hart wie Feuer stein war.
»Das sieht dein Vater ganz anders«, sagte die Maurin langsam. »Wie oft hat er mir schon darüber sein Herz ausgeschüttet!«
»Dann soll er mir das gefälligst selbst sagen!« Lucia ging steifbeinig zur Tür.
»Wo willst du hin?«, hörte sie Djamila rufen.
Am liebsten zu Rashid, war das Erste, was ihr durch den Sinn schoss. Nur leider kann ich dessen Wunde nicht mehr verbinden, weil sie am Abheilen ist. Und kein Mensch hätte sie in die Palastanlage der Alhambra hineingelassen, wo er mit seinem Vater arbeitete.
»Zu Padre Manolo«, sagte sie stattdessen und drehte sich langsam zu Djamila um.
»Aber heute ist doch gar kein Sonntag …«
»Die Beichte kann man immer ablegen«, erklärte Lucia. »Vorausgesetzt, man ist als Christ getauft.«
Kaum hatte sie die steilen Stufen erklommen, die hinauf zu San Nicolás führten, bereute sie ihre Worte. Der Vater würde traurig und zornig werden, könnte er sie so reden hören. Die Mauren zu achten, hatte er ihr von klein auf beigebracht, auch wenn er selbst an den Dreifaltigen Gott glaubte. Ihm lag viel daran, dass sie alle verschiedenen Religionen achtete. Denn da gab es ja auch noch ein paar seltsame Dinge, die er ihr vor einiger Zeit über ihre tote Mutter erzählt hatte, die sie inzwischen allerdings schon wieder halb vergessen hatte – Maria, die als Mädchen offenbar Miriam geheißen hatte …
Ob auch Tante Pilar früher einen anderen Namen getragen hatte?
Lucia nahm sich vor, sie bei Gelegenheit danach zu fragen. Jetzt aber musste sie erst einmal herausfinden, ob Padre Manolo in der Zwischenzeit etwas Interessantes erfahren hatte.
Ein wenig unschlüssig betrat sie den Kirchenraum. Helles Licht fiel durch die schmalen Fenster und hüllte ihn in ein Gespinst aus Sonnenstrahlen. Die einfachen Holzbänke waren leer, bis auf einen korpulenten Glatzkopf, der ganz hinten kniete und das Gesicht in den Händen verbarg.
Plötzlich stand er auf und verschwand in einem der beiden Beichtstühle. Lucia hörte Rascheln und Scharren, als suche er nach der richtigen Stellung, dann begann er zu reden, so laut, dass sie unwillkürlich mithören musste.
»Ich lade große Schuld auf mich, Padre, denn ich bin dabei, etwas Schreckliches zu tun«, sagte er weinerlich.
»Das klingt, als hättest du noch immer die Wahl, es zu lassen.« Padre Manolos Stimme war tief und
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