Die Nacht von Granada
starrte der Vorarbeiter von einem zum anderen. »Wenn der Alte zu schwach dafür ist, werfe ich ihn raus. Seinen Lohn kann er dann allerdings vergessen. Ich kann hier nur Männer gebrauchen, die richtig zulangen können.«
»Nein, er ist nicht zu schwach, aber ich … kann fast doppelt so schnell arbeiten!« Rashid hatte plötzlich Schweißperlen auf der Stirn, weil er an seinen Arm dachte, der immer noch nicht ganz wie sonst zu gebrauchen war, und dennoch hielt er dem bohrenden Blick Emilios stand. »Ist doch egal, wer von uns es macht.«
»Von mir aus.« Emilio drehte sich gleichgültig um. »Aber ich werde ein Auge auf dich haben, Freundchen, die ganze Zeit, darauf kannst du dich verlassen!«
Die beiden bekamen erst Gelegenheit zum Weiterreden, als die kurze Mittagspause angebrochen war. Unter einem der Granatapfelbäume war ihr Lieblingsplatz, und wenn sie jetzt auch nicht mehr täglich die sich ständig verändernden Licht- und Wasserspiele der Nasridenpaläste genießen konnten, so doch wenigstens das verschwenderische Grün und Gold ringsumher, das Augen und Sinnen wohltat. Das noch immer dichte Laub hing voller Früchte, manche noch mit grünen Stellen, andere schon tiefrot, sodass sie bald geerntet werden mussten. Saida hatte ihren beiden Männern einen Korb mit Oliven, gefüllten Weinblättern und einem Tongefäß voller Lablabi mitgegeben, der traditionelle Eintopf aus Saubohnen, den beide so gerne mochten. Obwohl die dicke Suppe warm noch besser schmeckte, stieg ein verführerischer Duft nach frischen Kräutern und Zitronen auf, sobald Kamal den schweren Deckel gelüftet hatte. Bohrender Hunger zwang sie, zunächst ein paar schnelle Bissen hinunterzuschlingen, doch sobald die erste Gier gestillt war, wanderten Rashids dunkle Augen neugierig zu seinem Vater.
»Also, was ist das für eine geheimnisvolle Geschichte?«, fragte er und massierte sich zwischen zwei Bissen immer wieder die schmerzenden Gelenke. Drei seiner Nägel hatten auch schon dran glauben müssen und färbten sich unaufhaltsam lila. »Rück schon raus damit! Damit ich wenigstens weiß, wofür ich meine Knochen hinhalte.«
»Kann ich nicht.« Kamal schob sich ein Stück Fladenbrot in den Mund und wünschte, er hätte niemals damit angefangen. »Lass uns von etwas anderem reden.«
»Ich bin dein Sohn«, bohrte Rashid weiter. »Meinst du nicht, ich sollte es erfahren?«
Plötzlich war Kamals schmales Gesicht ganz leer. »Und ich bin dein Vater«, entgegnete er. »Wer, wenn nicht ich, muss wissen, was mein Sohn so treibt?«
Ertappt starrte Rashid zu Boden und sah plötzlich wieder aus wie der kleine Junge von damals, der im wilden Spiel versehentlich Saidas schönste blaue Schüssel zerbrochen hatte.
»Du zuerst«, murmelte er.
Kamal holte tief Atem. Lange waren sie sich nicht mehr so nah gewesen. Wenn er nun diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließe, beginge er womöglich einen großen Fehler.
»Du musst mir versprechen, den Mund zu halten«, sagte er. »Kein Wort zu irgendjemandem! Sonst geraten wir in größte Schwierigkeiten.«
Rashid nickte knapp.
»Es geht da um einen besonderen Edelstein, der die neue Schliffart erhalten soll«, fuhr Kamal leise fort. »Man hat mich danach gefragt, weil mein guter Ruf offenbar noch immer gilt. Natürlich bin ich nach all den Jahren ziemlich außer Übung. Aber ich denke, ich kann es trotzdem schaffen.«
»Und wieso darf niemand davon erfahren?«, fragte Rashid. »Das klingt ja beinahe, als tätest du etwas Verbotenes!«
Kamal zuckte die Achseln und schwieg.
»Es ist also nicht erlaubt«, mutmaßte Rashid weiter. »Aber du machst es trotzdem. Weil man dir genügend Geld angeboten hat? Hat das dich überzeugt? Oder gibt es andere Gründe?«
Kamal begann seine Nase zu reiben.
»Warte! Dann müssen es Schweinefresser sein, für die du arbeiten sollst. Genau so ist es doch, oder? Schweinefresser, die aus irgendeinem Grund nicht bekannt machen wollen, dass ein Maure …«
»Du sollst nicht so reden«, fiel Kamal ihm ins Wort. »Wie oft hab ich dir das schon gesagt! Unsere engsten Freunde sind Christen. Vergiss das nicht!«
»Ich meine doch nicht Antonio und Lucia. Ich spreche von den anderen, die uns das Leben schon schwer genug machen und bald womöglich noch schwerer …« Erschöpft hielt er inne. »Welches Recht dazu haben sie? Sie stellen ihren Christengott über Allah und behandeln uns mieser als Tiere!«
»Das Recht der Sieger«, sagte Kamal leise. »Sie nehmen Rache für
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