Die Nacht von Granada
jetzt bloß keinen Unsinn«, flüsterte Kamal, dem nicht entgangen war, dass die Züge seines Sohnes sich schlagartig verhärtet hatten. »Wir finden bestimmt noch eine Gelegenheit zur Flucht.«
»Die Söhne Allahs stehen bereit«, zischte Rashid zurück. »Aber nicht für heute. Die Taufe sollte erst in drei Tagen stattfinden. Es muss einen Verräter geben!«
Das Portal von San Nicolás stand weit geöffnet, um die aufgebrachte Menge aufzunehmen. Vorsorglich waren alle Bänke entfernt worden, damit der Platz auch ausreichte. Aber obwohl die Leiber bereits dicht an dicht standen, wurde es brechend eng. Einige Frauen weinten, andere schimpften und keiften. Kinder drängten sich schutzsuchend an ihre Mütter.
Über den Grundgeruch von Angst und blankem Hass legten sich Wolken schwüler Weihrauchschwaden.
»Du hast doch niemandem etwas von unserem Plan verraten?«, begann Rashid aufs Neue. »Ich hab dir mein Vertrauen geschenkt. Wenn du uns verpfiffen hast, dann …«
Das Bimmeln vieler Glöckchen. Ein großer, magerer Mann hielt Einzug, flankiert von einem halben Dutzend Ministranten, die Weihrauchfässer schwenkten. Zwei von ihnen hatten an hässlichen Eimern schwer zu schleppen, die aussahen, als stammten sie direkt aus einer Viehtränke; ein anderer trug eine brennende Fackel. Den nahezu kahlen Schädel des Mannes bedeckte ein rotes Barett*, seinen ausgemergelten Körper umschloss eine abgewetzte Franziskanerkutte, die mit einem breiten roten Band gegürtet war.
Hinter ihm schritt ein kräftiger Mann in einem ledernen Wams mit vergoldeten Nieten. Padre Manolo, der ihm folgte, war so bleich wie ein Leichentuch.
»Der Inquisitor!«, murmelte Kamal erschrocken. »Diego Rodríguez Lucero. Antonio hat ihn mir einmal im Vorbeigehen gezeigt. Dann kann der Magere vor ihm …«
»… kein anderer als der Beichtvater der Königin sein! Erzbischof Cisneros befindet sich also bereits in Granada«, ergänzte Rashid. »Und der freundliche Padre, der immer tut, als gehöre er zur Familie, ist ebenfalls mit im Bunde! An welchen der drei hast du uns verraten? Oder hat das dein angeblicher Bruder Antonio erledigt?«
Kamal schüttelte verzweifelt den Kopf. »Zu niemandem habe ich davon gesprochen! Kein Sterbenswörtchen!«
»Könntest du das beschwören, Vater – beim Leben deiner Tochter?«
»Ihr habt euch hier eingefunden, Brüder und Schwestern im Herrn«, begann Erzbischof Cisneros und seine volle, leidenschaftliche Stimme in reinstem Kastilisch erfüllte das Kirchenschiff bis in den allerletzten Winkel, »um eurem alten Irrglauben abzuschwören und demütig um die Aufnahme in den Schoß der Heiligen Katholischen Kirche zu bitten …«
»Niemals!«, schrie eine alte Frau auf Arabisch und reckte ihren faltigen Hals, um sich besser Geltung zu verschaffen. »Sich von Allah abzuwenden, bedeutet den Tod!«
»Bringt die hässliche Vettel augenblicklich zum Schweigen! Sonst lasse ich mein Schwert sprechen«, befahl Lucero. »Wer noch einmal Seine Exzellenz unterbricht, soll mich kennenlernen.«
»Lob sei Allah, dem Weltenherrscher, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, dir dienen wir und zu dir rufen wir um Hilfe …« Die zittrige arabische Männerstimme verriet Alter und Krankheit, aber es gab keinen in der ganzen Kirche, der sie nicht gehört hätte.
Das Gesicht des Erzbischofs war wie erstarrt, und er schien auf einmal zu schwanken, als träfe ihn der unerwartete Widerstand körperlich. Lucero dagegen wirkte umso lebendiger. Er sprang zu dem Ministranten, riss ihm die Fackel aus der Hand. Ein anderer reichte ihm auf sein herrisches Nicken hin einen mit Weihwasser getränkten Wedel.
»Das ist eure Wahl«, schrie er auf Kastilisch. »Feuer oder Wasser – Tod in den Flammen oder ewiges Leben. Entscheidet euch!«
Lautes Knirschen ertönte. Die Köpfe vieler flogen entsetzt nach hinten, als sie erkannten, was es war.
Die Riegel schnappten zu – sie waren gefangen!
»Dann wählen wir das Feuer!«, schrie Rashid auf Kastilisch zurück, so laut er nur konnte. »Allah ist der Beschützer aller Gläubigen. Er führt uns aus tiefster Finsternis zum Licht …«
»Ergreift ihn!«, brüllte Lucero und drehte sich zu seinen Söldnern um, die als Wachen an den Wänden standen. »Dieser Aufwiegler wird erfahren, wohin sein freches Maul ihn bringt.«
Kamal, eben noch vor Schreck wie gelähmt, reagierte blitzschnell. Er zog seinem Sohn die Kapuze seiner Djellaba über den Kopf und versetzte ihm einen Stoß.
»Los!«, flüsterte er.
Weitere Kostenlose Bücher