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Die Nacht von Granada

Die Nacht von Granada

Titel: Die Nacht von Granada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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»Da vorn, links neben dem Altar – die kleine offene Tür. Und jetzt renn um dein Leben!«
    Rashid duckte sich und gehorchte.
    Zuerst wusste er nicht genau wohin, denn überall standen ja angststarre Menschen. Dann jedoch schienen sich auf wunderbare Weise die dicht gedrängten Leiber der Mauren wie Wellen zu teilen, die der Wind aufbäumt, und er entdeckte immer wieder neue Lücken, durch die er schlüpfen konnte.
    Natürlich blieb die Gegenseite nicht untätig und versuchte mit allen Mitteln, ihm den Weg abzuschneiden. Gleich mehrere Fetzenkerle auf einmal schwärmten aus, um ihn zu fassen, doch ihnen blieb die Gunst der Welle verschlossen. Ganz im Gegenteil, je energischer sie sich Rashid zu nähern versuchten, desto enger schlossen sich die Leiber zusammen, als wären sie eine festgefügte Wand. Einer der Söldner ging dabei besonders brutal vor, er trat den Mauren hart auf die Füße, schlug und boxte wild um sich – und hätte mit diesem Verfahren beinahe Erfolg gehabt, denn seine Hand war schon beinahe an Rashids Djellaba, als der alte Mann, der vorhin seine Stimme erhoben hatte, ihm mutig seine magere Brust entgegenreckte.
    »Töte mich an seiner Stelle!«, rief er und lenkte den Verfolger dabei für einen Augenblick ab. »Lass den Alten für den Jungen sterben!«
    Der Söldner versetzte ihm einen wütenden Stoß, als er erkannte, was der Alte bezweckte. Aber es war zu spät. Rashid hatte eine schmale Lücke entdeckt, die sich hinter ihm sofort wieder schloss. Jetzt war sein Ziel zum Greifen nah.
    Die Tür, hinter der ein Licht schimmerte!
    Sein letzter großer Satz trug ihn über die Schwelle. Jetzt warf er sich von der anderen Seite mit seinem ganzen Gewicht gegen das Holz.
    Die Tür schlug zu. Mit zittrigen Händen drehte er den Schlüssel um.
    Er war in Freiheit!
    Kamal stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Freilich blieben ihm nur ein paar Augenblicke, denn mittlerweile schien der Inquisitor entschlossen, im Kirchenschiff jeden weiteren Widerstand im Keim zu ersticken.
    »Wasser oder Feuer?«, wiederholte er grollend. »Man hat mir im Vertrauen verraten, dass nichts so gut brennen soll wie verstockte Maurenärsche!«
    »Wasser.« Ganz schwach ertönte der erste Ruf auf Arabisch.
    »Ich kann euch nicht hören.« Lucero hielt die Hand an sein Ohr und beugte sich übertrieben nach vorn. »Hat irgendjemand etwas gesagt?«
    »Wasser. Wasser. Wasser!« Jetzt schrien sie im andalusischen Dialekt und das Gesicht des Inquisitors verzog sich vor Genugtuung fratzengleich.
    Kamal begann zu zittern. Seitdem er denken konnte, war Allah sein Halt und seine Zuflucht gewesen, der gütige Gott, vor dem er sich fünfmal am Tag verneigte, dem er mit Gebet und Fasten diente. Er hatte die Welt erschaffen, er allein verkörperte Erbarmen und Gerechtigkeit – kein wahrhaft Gläubiger durfte sich jemals von ihm abwenden!
    Ein Strudel von Bildern stieg in ihm hoch, der Tag, als der Imam seine Ehe mit Saida gesegnet hatte, Rashids Geburt und Beschneidung, der erste Schrei der winzigen Nuri, der Trauerweg zum Grab seines Vaters, den sie zu viert zur letzten Ruhe getragen hatten.
    Das alles sollte auf immer verloren sein? Das war sein Leben, war alles, woran er seit jeher geglaubt hatte.
    Er konnte, er durfte kein Christ werden!
    Doch was sollte er tun? Jetzt aufzuschreien, würde den Tod bedeuten. Auf einmal beneidete er seinen Sohn für den Mut, sich diesem Zwang widersetzt zu haben.
    Erzbischof Cisneros tauchte seinen Wedel in einen der eilig herbeigekarrten Eimer und schwenkte ihn über die Köpfe der Eingepferchten.
    »Ich taufe euch im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes …«
    Im Kirchenschiff herrschte bleierne Stille. Nur ein Kind schluchzte kurz auf, verstummte aber sofort wieder, als die Mutter es hochnahm und erschrocken an sich drückte.
    Es fühlte sich so gut an, Nuri zu umarmen und ihre Wärme zu spüren, doch die Sorgen, die sie ihr dabei ins Ohr raunte, ließen Lucia nur noch zappliger werden.
    »Wo bleiben sie bloß?« Nuri war von gegenüber zu ihnen gelaufen, weil sie Saidas ängstliches Lamento nicht länger ertragen hatte. »Papa und Rashid müssten doch schon längst zu Hause sein!«
    »Sie werden aufgehalten worden sein.« Lucia fühlte sich elend, weil sie nicht wirklich glaubte, was sie da gerade sagte. »Bestimmt hat Emilio sie wieder länger arbeiten lassen …«
    »Und wenn ihnen etwas zugestoßen ist?« Im flackernden Licht der Öllämpchen waren Nuris Augen übergroß.

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