Die Nacht von Granada
der Küche, in der zahlreiche Löcher in verschiedener Höhe für Belüftung sorgten. Sogar im Hochsommer hielten gekochte Speisen sich hier für einige Tage, und über die Wintermonate ließ Eingemachtes sich wochenlang lagern. Das System war ebenso alt wie ausgetüftelt; zusammen mit dem fließenden Wasser schenkte es dem Haus jenen Komfort, ohne den in Granada seit Jahrhunderten kein Maure leben mochte.
Von hier aus würde ihr nichts von dem entgehen, was die beiden nebenan so heimlich zu besprechen hatten.
Lucia hatte das bedrückte Schweigen im Haus nicht länger ausgehalten und war durch die engen Gassen zu Tante Pilar gelaufen, die zwar rasch öffnete, aber nicht gerade beglückt über ihren Besuch schien und sie eher mürrisch empfing.
Angelockt vom verführerischen Duft nach gebratenem Zitronenhuhn und Kräutern, der sie nach drinnen lockte, war Lucia trotzdem weitergegangen – und blieb erstaunt stehen, als sie am länglichen Esstisch Padre Manolo vor einem vollen Teller sitzen sah.
»Sie hat darauf bestanden, dass ich zum Essen komme«, erklärte er beschwichtigend. »Schon den zweiten Tag hintereinander. Aber setz dich doch zu uns, mein Mädchen. Du siehst auch aus, als könntest du eine kleine Stärkung gut gebrauchen.«
Lucia gehorchte schweigend und tat, als bemerke sie die biestigen Blicke der Tante nicht, die ihr stumm einen weiteren Teller reichte. Es war nicht gerade gemütlich auf dem harten hölzernen Stuhl, um einiges unbequemer, als sie es von zu Hause gewohnt war. Doch Tante Pilar hatte sich von jeher geweigert, auf niedrigen Kissen zu essen, wie die Mauren es taten.
»Er brauchte dringend jemanden, der sich um ihn kümmert«, sagte Pilar nach einer Weile. »Erst recht nach all dem, was er durchmachen musste. Da bin eben ich in die Bresche gesprungen. Gab ja sonst niemanden weit und breit, der dazu bereit gewesen wäre.«
Der Priester erhob abwehrend seine Hände, als wäre ihm das Gesagte peinlich, doch Tante Pilar ließ sich davon nicht bremsen.
»Hast du vielleicht eine Ahnung, wie es nach der Maurentaufe in unserer schönen Kirche ausgesehen hat?«, fuhr sie fort. »Als hätte eine Horde wilder Schweine in San Nicolás gewütet! Alle Bänke wüst nach draußen geworfen, der Boden voller Unrat und Schmutz. Die Frau, die früher immer zum Fegen kam, hat sich bei diesem Anblick prompt aus dem Staub gemacht. Und Padre Manolos unzuverlässige Haushälterin gleich mit dazu. Da hab ich eben die Ärmel aufgekrempelt und die ganze Arbeit erledigt!«
»Ihr wart dabei?« Plötzlich hatte das Hühnerbein, an dem Lucia gerade noch heißhungrig genagt hatte, jeglichen Geschmack verloren. »Aber Muslime dürfen sich doch gar nicht von Allah abwenden, das weiß ich von Djamila. Was macht es da für einen Sinn, sie zwangsweise christlich zu taufen?«
»Solch ein schrecklicher Tag!«, murmelte Padre Manolo. »Ich habe erst sehr spät erfahren, dass man ausgerechnet meine Kirche für dieses unselige Spektakel ausgesucht hatte. Da waren sie schon dabei, die Bänke nach draußen zu schleppen. Was hätte ich dagegen tun sollen? Gegen die Rotkappen des Inquisitors war ich doch machtlos.«
»Ihr hättet uns warnen können«, sagte Lucia und suchte furchtlos seinen Blick. »Das zumindest hätte ich von Euch erwartet. Ich dachte, Kamal und seine Familie sind auch Eure Freunde. Das habt Ihr jedenfalls früher immer behauptet. Oder hat sich daran inzwischen etwas geändert?«
Zu ihrer Überraschung fiel die Tante ihr dieses Mal nicht ins Wort. Pilars helle Augen hingen ebenso wie Lucias am Gesicht des Priesters, als wäre seine Antwort immens wichtig für sie.
Der Padre wirkte sichtlich beschämt.
»Ja, du hast recht, ich war feige«, rief er. »Das hässliche Waffengerassel hat mich eingeschüchtert. Waffen in meinem Gotteshaus – wie konnte ich das nur zulassen! Dabei ist die Inquisition doch einzig und allein dazu da, um die Lehre der Heiligen Kirche rein zu halten, falls sie verfälscht oder beschmutzt werden sollte, und nicht, um Menschen gewaltsam dazu zu zwingen, Christen zu werden!«
»Mir scheint, als wäre das erst der Anfang gewesen«, sagte Lucia. »Mit ihren Listen haben die Rotkappen schon bald danach die Maurenhäuser des Albaycíns durchkämmt, um alle Muslime zu registrieren, die ihnen noch fehlen. Am Sonntag wollen sie mit dem Taufen weitermachen. Und dieses Mal sind auch meine beste Freundin Nuri und ihre Mutter Saida dran, die für mich seit jeher wie eine Mutter war. Habt Ihr
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