Die Nacht von Granada
vielleicht eine Idee, wie sie sich schützen könnten?«
Der Priester wurde noch eine Spur bleicher, dann schüttelte er langsam den Kopf.
»Saida und ihre junge Tochter«, sagte er leise. »Wohin sollten sie schon fliehen? Das alles macht mich so unendlich traurig, Lucia! Eine Handvoll Wasser hilft doch der Seele nicht. Jeder Übertritt zu unserem Glauben muss aus freien Stücken, nach aufrichtiger Buße und vor allem nach gründlicher Unterweisung geschehen. Erzbischof Talavera hätte niemals gewollt …«
Er hielt plötzlich inne.
»Ich bin nicht einmal sicher, ob man Seine Exzellenz über dieses ungeheure Geschehen vollständig informiert hat«, rief er. »Aber seitdem Erzbischof Cisneros in Granada weilt, scheinen plötzlich andere Gesetze zu gelten.«
Der Priester sprang auf, so heftig, dass die Teller klapperten.
»Wir dürfen keine kostbare Zeit vergeuden«, rief er. »Vielleicht ist ja doch noch etwas zu retten.«
»Wohin wollt Ihr denn so plötzlich?«, rief Tante Pilar. »Ihr habt ja noch nicht einmal aufgegessen!«
»Zum Erzbischof«, rief Padre Manolo, schon halb auf der Schwelle. »Sofort! Und ich bin sicher, er wird seinen alten Mitbruder nicht abweisen.«
»Ich wollte ihn nicht von deinem Tisch vertreiben«, sagte Lucia nach einer Weile des Schweigens, das sich nach dem überstürzten Aufbruch des Priesters zwischen ihnen ausgebreitet hatte. »Es war ganz allein sein Entschluss, das hast du ja gehört.«
»Du zeigst durchaus Talent, immer wieder im falschen Augenblick aufzutauchen, liebe Nichte«, sagte Pilar. »Aber dieses Mal war es wohl genau der richtige. Der Padre hat sich nach der erzwungenen Taufe so elend gefühlt, dass ich schon Angst bekam, er würde ernstlich krank werden. Aber dank dir ist offenbar sein Kampfeswille neu erwacht. Das wird ihm guttun. Hast du nicht bemerkt, wie anders er auf einmal ausgesehen hat? Als hättest du ihm in wenigen Augenblicken viele Jahre zurückgegeben!«
Wie verändert sie selbst auf einmal wirkte!
Bislang hatte Lucia ihre Tante für eine unauffällige, nicht gerade anziehende Frau in mittleren Jahren gehalten, die sich frömmlerisch in ihrer Witwenschaft vergrub und bestenfalls als Wohltäterin für Arme und Kranke verausgabte. Doch die Pilar, die ihr jetzt gegenübersaß, hatte plötzlich so gar nichts mehr von einer vergrämten Kirchgängerin an sich, die lediglich auf die nächste Messe wartete.
Ihr Gesicht glühte, wie von einem inneren Feuer erwärmt. Außerdem hatte sie sich ungewöhnlich sorgfältig zurechtgemacht. Ihr braunes Haar war nicht wie sonst zu einem strengen Knoten gezwirbelt, sondern locker aufgesteckt. Ein paar Löckchen hatten sich selbstständig gemacht, kringelten sich um das schmale Gesicht und ließen es weicher, beinahe jugendlich wirken.
Und erst das Kleid!
Schlicht war es und dunkel wie gewohnt, da für sie nach dem Tod ihres Mannes die Trauerzeit lebenslang andauern würde, wie sie stets versicherte, doch am Ausschnitt und an den Ärmeln war es reichlich mit feiner weißer Spitze besetzt.
Tante Pilar sah aus wie ein junges Mädchen, das sich für einen heimlichen Verehrer herausstaffiert hatte.
»Du liebst ihn?«, entfuhr es Lucia. Erschrocken hielt sie inne.
Was war ihr da nur eingefallen? Darauf würde sie doch niemals im Leben eine Antwort erhalten.
»Einen Priester?« Pilar schüttelte leicht den Kopf und errötete zart. »Red keinen Unsinn, mein Kind!«
»Und wenn es doch so wäre? Kann man sich denn aussuchen, wen man liebt?«, fragte Lucia weiter und beobachtete die Tante dabei ganz genau. »Oder ist es nicht eher Schicksal?«
Ob Pilar ihrer toten Schwester Maria, Lucias Mutter, die sie niemals gekannt hatte, wirklich so ähnlich war, wie alle behaupteten? Dann könnte sie sie ja eines Tages doch nach dem blauen Haus mit dem Blütenteppich fragen, das sich immer wieder in ihre Träume stahl!
Pilars Miene war undurchdringlich, nur die Mundwinkel bebten leicht.
»Verliebtheit kann uns Menschen durchaus wie ein Pfeil treffen. Gegen sie ist man machtlos. Doch wenn sie sich erst einmal in wahre Liebe verwandelt hat, die hält und trägt, dann …«
»Was dann?«, stieß Lucia hervor. »Erzähl mir mehr davon – bitte! Wen sonst sollte ich denn danach fragen?«
»Dafür bist du noch viel zu jung!« Tante Pilar griff nach den halb geleerten Tellern und stellte sie unter Getöse zusammen. »Schade um das schöne Huhn«, fuhr sie resolut f ort, peinlich darauf bedacht, dass Lucia ihr jetzt keinesfalls mehr
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