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Die Nacht von Granada

Die Nacht von Granada

Titel: Die Nacht von Granada Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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kaum trauen, als er ihn am Morgen beim Öffnen der Fensterläden entdeckte, Wochen früher als üblich. Die klare Luft, in der alles wie gemeißelt wirkte, versprach den Beginn eines kalten Winters, der, wenn die Anzeichen nicht trogen, bis weit hinein ins Frühjahr dauern konnte.
    Auch seine Hände und Fingerkuppen waren eiskalt und binnen Kurzem so klamm geworden, dass er sie erst durch kräftiges Reiben wieder geschmeidig machen musste, bevor er über die schmale Gasse hinüberging. Antonio ließ sich nur kurz in der Werkstatt blicken, um dann brummig wieder in seinen angrenzenden Wohnräumen zu verschwinden. Über Nacht hatte ihn eine heftige Erkältung befallen, gegen die Djamila nun energisch mit heißer Zitrone und ihrer speziellen Salbeimischung ankämpfte, die sie ihn über einer großen Schüssel inhalieren ließ. Wenn der Goldschmied gesundheitlich geschwächt war, blieb er zu Hause und sie konnte sich um ihn kümmern. Das schien ihr zu gefallen, weil sie ihn dann die ganze Zeit in ihrer Nähe haben konnte.
    Energisch verbannte Kamal diesen wie auch alle anderen störenden Gedanken aus seinem Kopf. Er konnte sich keine Ablenkung leisten, denn er hatte bereits die Schleifmaschine frisch eingeölt und hauchdünn mit feinstem Diamantstaub bestreut. Jetzt wartete der Hyazinth auf ihn, wenn er die günstigen Lichtverhältnisse des Morgens nutzen wollte, bevor er erneut zur kräftezehrenden Arbeit hinauf auf die Alhambra musste. Bislang schien Emilio das Märchen von Rashids plötzlicher Erkrankung zu glauben, doch wie lange würde der misstrauische Vorarbeiter sich noch hinhalten lassen? Dazu kam, dass sich auf einmal Salzedo, der Hofmeister des Erzbischofs, ständig einmischte, offenbar um seinen geistlichen Herrn in jedem nur denkbaren Belang zufriedenzustellen.
    Der Schleifer schüttelte den Kopf, unzufrieden mit sich selbst. Der Stein, dachte er, jetzt zählt nur der Stein.
    Konzentriere dich endlich!
    Als Erstes musste er seinen Patzer vom Vorabend ungeschehen machen, eine durchaus knifflige Aufgabe, die ihm dank seiner sicheren Hand überraschend schnell gelang. Nach einigen Runden an der Maschine waren die ersten Dreiecke rund um die Rondiste wieder vollkommen gleichmäßig, Basis für die künftige Rose – doch wie viele warteten noch auf ihn!
    Kamal drehte den Stein eine winzige Spur weiter, um sich langsam weiter nach oben zu arbeiten, als von draußen plötzlich lautes Geschrei ertönte.
    »Du wirst die Sau fressen – und wenn ich sie dir eigenhändig in den Schlund stopfen muss!«, hörte er jemanden in hässlichem Kastilisch brüllen.
    »Lasst mich endlich in Frieden! Ich hab euch doch nichts ge… ge…tan!«
    Diese schrille Stimme und das aufgeregte Holpern bei jedem zweiten Wort! Das konnte nur Amir sein, der kleine Schneider von nebenan, der da in höchster Todesangst vor sich hinstotterte.
    Kamal legte den Stein zurück auf das graue Tuch, das er zum Schutz des Hyazinths auf der Werkbank ausgebreitet hatte, und stürzte hinaus.
    Amir war von zwei Rotkappen umzingelt. Einer hielt ihm einen Holzspieß mit Batzen schwärzlich verkohlten Schweinefleischs vor die Nase, während der zweite sein Schwert gezückt hatte und damit angriffslustig vor Amirs mageren Schenkeln herumfuchtelte.
    »Friss die Sau!«, schrie er. »Friss auf der Stelle, wenn du ein Christ sein willst!«
    »Nein und noch ein… ein…mal nein!« Amirs verzweifelte Stimme drohte zu kippen. »Dazu könnt ihr mich nicht zwi… zwi… zwingen.«
    Viele Fenster waren aufgeflogen und aus den Türen liefen immer mehr Menschen auf die enge Gasse.
    »Und ob wir das können!« Jetzt zielte das Schwert exakt auf Amirs Geschlechtsteile, die der dünne Stoff der Djellaba kaum schützte. »Christ oder Eunuch. Überleg es dir gut – noch hast du die Wahl!«
    Unwillkürlich war Kamal losgerannt, um Amir zu Hilfe zu kommen, doch plötzlich setzte sein Verstand wieder ein und er blieb unschlüssig stehen. War es nicht ungemein gefährlich und töricht dazu, erneut die Aufmerksamkeit der Rotkappen zu erregen? Es reichte doch, dass sie hinter seinem Sohn her waren!
    Der Gedanke an Rashid ließ ihn ganz elend werden. Schwindel überfiel ihn, und er hatte plötzlich das Gefühl, nicht mehr scharf sehen zu können.
    Doch dann klärte sich sein Blick wieder – und er erstarrte.
    Lief dort vorn nicht ein junger Mann, der exakt Rashids Statur hatte? Oder spielte ihm seine überhitzte Fantasie lediglich einen Streich? Bevor Kamal sich noch richtig

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