Die Nacht von Granada
uns gelungen ist«, sagte Lucia mit grimmiger Miene und hob ihre Hand zum Schwur. »Das gelobe ich feierlich beim Andenken an meine Mutter!«
Rashid starrte sie gebannt an. Dann hob er ebenfalls langsam seine Hand.
Miguel tat es ihm nach einigem Zögern nach.
Und schließlich, nach einer halben Ewigkeit, ging auch die zittrige Hand Gaspars nach oben.
8
D rei goldene Bälle fliegen durch die Luft, anmutig, fast schwerelos. Sie tanzen vor dem gütigen Gesicht eines Weißbärtigen, gehüllt in ein rotes Gewand mit hellem Pelzbesatz, der in der Rechten einen goldenen Krummstab hält.
Lucia ist ein solcher Stab nicht unvertraut; einen ähnlichen hat sie bereits in der Hand von Erzbischof Talavera gesehen, als er am Osterfest im feierlichen weißgoldenen Ornat zum Hochamt eingezogen ist. Doch der Mann, der nun vor dem Altar der Kirche steht, muss um vieles älter sein als der Erzbischof von Granada – und er leuchtet. Goldene Strahlen umgeben seinen länglichen, von feinem weißem Haar bedeckten Schädel, breiten sich nach allen Seiten aus und scheinen selbst die letzten Winkel der alten Kirche zu erreichen.
Was für ein ehrwürdiges Gebäude!
Die Mauern dick und klobig, wie von Gigantenpranken errichtet, die Fenster winzig, die stämmigen Säulen grob gehauen. Und dennoch kommt ihr alles seltsam vertraut vor, als habe sie hier schon unzählige Male gebetet.
Es juckt Lucia in den Füßen, zügig weiterzugehen und Mauern und Bögen zu berühren, um ihre Wucht und Kraft in sich aufzunehmen, doch zu ihrem Erschrecken kann sie auf einmal kein Glied mehr rühren. Plötzlich scheint sie festgewachsen zu sein, verschmolzen mit dem unebenen Boden und seinen unzähligen Rillen und Rissen, erfüllt von dem Gefühl, bei jedem Atemzug immer noch tiefer zu sinken.
Alles in ihr wird still.
Allmählich gewinnt das Blau vor ihren Lidern an Intensität und vertieft sich zu leuchtendem Lapislazuli, in dem feinste Goldpartikelchen wie entrückte Meereswesen schweben.
Ich muss doch träumen, will Lucia schon rufen, aber ihre Lippen sind zu fest aufeinandergepresst, als dass ihnen auch nur ein einziger Ton entschlüpfen könnte …
Und jetzt stahl sich auch wieder jenes unangenehme Geräusch immer drängender in ihren Traum, das sie nicht zum ersten Mal vernahm.
Jemand erbrach sich über einem Eimer, als müsse er sich die Seele aus dem Leib speien. Schon der dritte Morgen im Hause Álvarez, der mit diesen krampfhaften Lauten begann.
Noch bevor Lucia die Augen geöffnet hatte, wusste sie bereits, dass es nur Djamila sein konnte. Djamila, deren fein geschnittenes Gesicht auf einmal gedunsen wirkte. Djamila, deren sehnlichster Wunsch offenbar endlich in Erfüllung gegangen war.
Leider zum ungünstigsten Zeitpunkt.
Denn den emsigen Goldschmied, der stets beim ersten Hahnenschrei aufgestanden war, um seine Werkstatt eigenhändig sauber zu fegen, gab es nicht mehr. An seine Stelle war ein müder, gramgebeugter Mann getreten, der sich aus Sorge um seinen Freund Kamal und dessen Familie halb um den Verstand trank und zu Wutausbrüchen neigte, gegen die keiner in seiner Umgebung gefeit schien.
Lucia konnte sogar verstehen, was ihn dazu trieb.
Doch was sie dem Vater übel nahm, war eine ihr bislang unbekannt gewesene Sturheit, die er an den Tag legte, seitdem Kamal verhaftet worden war, gemischt mit einem seltsamen Fatalismus, der sie ganz besonders aufbringen konnte.
Mit welch glühenden Hoffnungen war sie direkt von Gaspar Ortíz zu ihm in die Werkstatt gestürmt!
»Alles wird gut, denn wir wissen nun, wer den Stein hat – Lucero! Das müssen Nuri, Saida und Kamal sofort erfahren, denn dann können sie wieder neue Hoffnung schöpfen, doch noch gerettet zu werden …«
Mitten im Satz hatte Lucia innegehalten vor diesem kraftlosen, zusammengesunkenen Etwas, das noch vor wenigen Tagen ihr stolzer, aufrechter Vater gewesen war. Sie hatte sich zum Weiterreden zwingen müssen, doch seine Reaktion, als sie schließlich am Ende ihres atemlosen Berichts angelangt war, hatte ihre schlimmsten Befürchtungen nur noch bestätigt.
»Der Wurm hat ihn also im Auftrag des Inquisitors gestohlen?«, hatte der Vater mühsam geflüstert. »Dann ist alles ja noch viel schlimmer, als ich zunächst dachte! Der verschwundene Hyazinth dient lediglich als Vorwand für unsere geplante Vernichtung. Lucero strebt einen öffentlichen Prozess an, verstehst du, was das bedeutet? Er will die Schuld eines Mauren und seines Helfershelfer in die Welt
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