Die Nacht von Granada
seit Tagen auf seiner Seele lastet. Er kann damit nur den Diebstahl gemeint haben!«
»Und das war heute? Wann genau?«
»Nein, das ist schon länger her«, sagte sie. »Damals wusste ich ja noch nicht, wen ich da vor mir hatte. Es hat einige Zeit gebraucht, bis ich mir alle Einzelteile zusammengereimt hatte. Aber jetzt gibt es für mich keinerlei Zweifel mehr.«
Eine steile Falte stand zwischen seinen Brauen. »Das hieße ja, dass alles von langer Hand geplant ist. Ein Komplott, in das unsere Väter mit bösem Vorsatz verwickelt wurden! Und Mutter und Nuri sind nichts als weitere Opfer.«
»Genau so sieht es für mich aus!«, bekräftigte Lucia. »Was schlägst du vor?«
»Du findest den Weg zum Haus dieses Widerlings?« Seine Stimme zitterte leicht.
Sie nickte. »Aber er hat einen Neffen, und der ist jung und stark!«, rief Lucia und bekam beim Gedanken an Miguel auf einmal Gänsehaut am ganzen Körper.
»Mein Zorn reicht auch für zwei Männer«, sagte Rashid. »Worauf warten wir dann noch? Lass uns gehen!«
Der Kater blieb ihnen den ganzen Weg zu Gaspars Haus auf den Fersen, obwohl Rashid immer wieder versuchte, ihn zu verscheuchen. Dann duckte Fuego sich und verschwand für ein paar Augenblicke in der Dunkelheit, um schon nach Kurzem wieder neben ihnen herzutraben, als sei nichts geschehen.
»Gib es auf!«, sagte Lucia, die trotz ihrer inneren Anspannung über den listigen kleinen Kerl lächeln musste. »Er hat eben seinen ganz eigenen Kopf.« Ihr Lächeln verschwand abrupt. »Dort vorne ist es«, sagte sie. »Das gelbe Haus.«
Rashid griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest. »Du weißt, was du zu tun hast?«, sagte er.
Sie nickte beklommen und spürte, wie die Angst in ihr aufstieg.
»Dann klopf jetzt an. Ich sehe drinnen Licht. Er muss noch wach sein.« Er trat ein Stück hinter sie.
Lucia holte tief Luft. Dann ließ sie den eisernen Türklopfer gegen das Holz fallen. Fuego macht einen Satz zur Seite und war in der Nacht verschwunden.
Es dauerte eine ganze Weile, dann ging die Tür einen winzigen Spalt auf.
»Wer ist da?«, hörte sie jemanden sagen.
»Ich bin es, Seňor Ortíz«, sagte sie. »Lucia Álvarez. Ich muss Euch dringend sprechen.«
»Jetzt?« Seine Verwirrung war unüberhörbar. Aber schwang nicht auch eine Spur Neugierde mit?
»Es geht um Leben und Tod. Bitte hört mich an.«
Der Spalt in der Tür wurde breiter. Gaspar hatte sein übliches Wams abgelegt, trug Hemd und Bruche* und war im Schein des Öllichts sehr bleich.
»Du bist allein?«, sagte er misstrauisch.
»Nicht ganz.« Geschmeidig wie eine große Katze war Rashid auf die Schwelle gesprungen, packte den Überraschten und drängte ihn zurück ins Haus.
Lucia folgte rasch.
»Wer seid Ihr?« Gaspars Hängebacken begannen angstvoll zu zittern.
»Das fragst du noch?«, sagte Rashid. »Der Rächer der Familie, die du heute unschuldig in den Kerker gebracht habt. Wo ist der Edelstein?«
Gaspar stieß ein hohes, dünnes Lachen aus.
»Da sucht ihr am falschen Platz«, sagte er. »Hier werdet ihr nichts finden. Der Schuldige ist verhaftet worden.«
Rashid versetzte ihm einen Hieb in die Magengrube, der ihn mit einem Stöhnen zusammenklappen ließ.
»Reiz mich nicht unnötig«, sagte er. »Denn das würdest du bitter bereuen. Ich weiß, dass du den Stein hast. Her damit!«
Gaspar hatte sich mühsam wieder aufgerichtet.
»Du willst unbedingt zu den anderen in den Kerker?«, sagte er. »Dann bist du auf dem besten Weg dazu!«
Rashids Faust traf ihn am Jochbein. Jetzt heulte der Glatzkopf vor Schmerzen laut auf.
»Miguel!«, schrie er. »Man überfällt mich … in meinem eigenen Haus …«
»Hebt die Hände und rührt euch nicht!« Noch nie hatte Miguels Stimme so eisig geklungen. Er näherte sich langsam von hinten, einen glänzenden Dolch in der Hand. »Sonst steche ich zu.«
»Ich bin es, Miguel«, sagte Lucia schnell, obwohl ihr das Herz bis zum Hals klopfte. »Und Rashid, Nuris Bruder. Sie haben Nuri heute verhaftet und ihre Mutter und ihren Vater mit dazu. Alle drei sitzen unschuldig im Kerker …«
»Nuri ist im Kerker?« Mit weit aufgerissenen Augen stand Miguel vor ihnen. »Weshalb? Aber warum bedroht ihr denn hier meinen Onkel?«
»Er hat den Stein«, sagte Rashid. »Er wird ihn mir geben. Und wenn ich ihn dafür eigenhändig totprügeln muss.«
Die beiden jungen Männer starrten sich schweigend an.
»Hast du nicht gehört, was dieser Maure eben gesagt hat?«, zischte Gaspar. »So unternimm doch
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