Die Nacht von Granada
Tochter«, rief er. »Und meine … du musst ihnen Bescheid geben … bitte!«
Er konnte nicht mehr sehen, ob der Angesprochene auch reagierte. Die beiden wütenden Ohrfeigen, die der Anführer der Rotkappen ihm kurz hintereinander versetzte, ließen seine Ohren brennen, als hätte jemand sie mit kochendem Öl übergossen.
Ein Schmerz, so grell und übermächtig, dass für einige Momente sogar sein Augenlicht erlosch.
Jetzt hielt Lucia nichts mehr im Haus, weder das verzweifelte Weinen Djamilas, die sich an sie klammerte und sie beschwor, sie und das Ungeborene nicht zu verlassen, noch die Angst vor dunklen Gassen, in denen sie sich nun ganz allein zurechtfinden musste. Und wenn Rashid sie zehnmal davor gewarnt hatte, grundlos bei den Söhnen Allahs aufzutauchen – sie brauchte ihn jetzt so dringend wie die Luft zum Atmen!
Sie lief so schnell, wie es in der Dunkelheit, die von ihrer Ölfunzel nur schwach erhellt wurde, möglich war – und zuckte zusammen, als etwas Weiches ihre Wade berührte.
»Fuego, kleiner Freund!« Eine Mischung aus Erschrecken und Rührung ließ ihre Stimme zittern. »Lauf wieder nach Hause! Ich kann dich hier nicht gebrauchen.«
Mit seinen großen Augen schaute er zu ihr hinauf, als verstünde er jedes Wort, und trabte, als Lucia weiterging, getreulich neben ihr her.
»Was bist du nur für ein verrückter Kerl!«, murmelte sie. »Man könnte fast glauben, du wärst ein Hund – und nicht der schönste Kater von Granada.«
Ihre Kehle zog sich zusammen, als sie das Haus im Judenviertel wiedererkannte, vor dem die Söhne Allahs ihr damals solch großen Schrecken eingejagt hatten. Lucia zog das Tuch enger um ihren Kopf, mit dem sie nach Maurenart ihre auffallenden Locken bedeckt hatte, gab sich aber keinerlei Illusion hin. Die helle Haut und ihre ungewöhnliche Größe würden sie dennoch verraten.
Durch die Fenstergitter im unteren Geschoss schimmerte Licht, und jetzt, da sie nur noch eine Holztür von Rashid trennte, klopfte ihr Herz so stark, dass sie Angst hatte, es könne ihre Brust sprengen.
Lucia holte tief Luft, dann schlug sie mit der Faust gegen die Tür, so fest sie nur wie konnte.
Ein halbwüchsiger Junge, knochig und kaum größer als ein Kind, öffnete sie einen Spalt und starrte ihr stumm entgegen. Dann fiel sein Blick auf den Kater, der sich dicht neben ihr hielt, und er begann zu grinsen.
»Ich muss zu Rashid«, sagte Lucia auf Arabisch. »Sofort.«
»Rashid ist nicht da«, erwiderte der Junge bedächtig. »Wer bist du überhaupt – eine Rattenfängerin vielleicht?«
»Eine nahe Verwandte.« Etwas Besseres war ihr auf die Schnelle nicht eingefallen. »Ich muss ihn sofort sprechen – es ist sehr dringend.«
»Keiner von ihnen ist da«, sagte der Junge. »Ich bin nur der Wächter. Die anderen sind alle drüben.« Sein Kopf bewegte sich vage nach links. »Im alten Gewürzlager. Jetzt üben sie dort auch schon nachts.«
Was hatte dieser merkwürdige Satz zu bedeuten?
Die Angst um den Vater steigerte Lucias Mut und ihre Entschlossenheit, es herauszufinden.
»Dann bring mich zu ihnen«, sagte sie. »Rashid wird dich dafür belohnen.«
Es war nur ein kurzes Stück, das sie zu gehen hatten, doch mit jedem Schritt wurden Lucias Beine schwerer.
Und wenn er ihr nicht beistand, wie sie sehnlichst hoffte, sondern sie wütend und enttäuscht abweisen würde, wieder ganz der rabiate, zu allem entschlossene Krieger, der ihr so fremd war? Woher konnte sie wissen, welchen Rashid sie dieses Mal vorfinden würde?
»Dann bist du wohl seine Cousine«, sagte der Junge plötzlich neben ihr. »Die Schwester kenne ich nämlich, und ich weiß auch, dass sie Nuri heißt. Sinan, der Sohn unseres tapferen Märtyrers, ist doch so unsterblich verliebt in sie! Aber gesehen habe ich Nuri schon eine ganze Weile nicht mehr.«
Nuri – die Angst um sie schnürte Lucia das Herz ab.
Dazu Saida und Kamal, die ebenfalls im Kerker saßen, und jetzt auch noch ihr Vater! Vielleicht stand sie selbst ja auch schon auf irgendwelchen geheimnisvollen Listen, von denen sie nichts wusste. Sie musste unbedingt so schnell wie möglich den Stein finden.
Das war die einzige Rettung, die es noch gab.
»Ist es hier?«, fragte sie.
Der Junge war plötzlich stehen geblieben. »Oder bist du etwa seine Braut?«, fragte er neugierig. »Dann musst du leider draußen bleiben. Der Imam hat nämlich gesagt, dass die Krieger Allahs die Frauen vergessen müssen. Dann können sie besser kämpfen.«
»Hol jetzt
Weitere Kostenlose Bücher