Die Nacht von Granada
selbstbewusst. »Ich schleife den Stein um und gebe ihm seine goldene Fassung. Beim Läuten der Mittagsglocken kann Lucero den Ring über seinen Finger streifen.«
»Niemand in Granada außer meinem Vater beherrscht den neuen Schliff«, sagte Rashid. »Du übernimmst dich da ganz gewaltig, mein Freund!«
»Keineswegs«, erwiderte Miguel ruhig. »Ich bin ein Meister der Goldschmiedekunst, der verschiedene Lehrherren hatte. Mit meinem Onkel war es auch in Toledo oftmals alles andere als einfach, das dürft ihr mir glauben. Deshalb habe ich ihn auch verlassen, sobald ich alt genug dafür war, und bin für zwei Jahre nach Santiago de Compostela gegangen, um dort bei einem anderen Meister zu lernen. Eines Tages stieß ein Venezianer zu uns, der in seiner Heimatstadt Probleme mit den Behörden hatte und auswandern musste. Er hat mir die neue Technik des Rosenschliffs beigebracht.« Miguel stieß einen Seufzer aus. »Stein und Ring bis morgen fertig zu haben, ist dennoch eine riesige Herausforderung. Aber ich nehme sie bereitwillig an, vorausgesetzt, ich kann Kamals Schleifmaschine benutzen und darf Antonios Gold verarbeiten. Mein eigenes Werkzeug, an das ich gewöhnt bin, bringe ich natürlich mit.«
Jetzt lächelte Miguel und schaute beinahe fröhlich in die Runde.
»Gehen wir«, sagte er, kraulte Fuego, der ihm schnurrend um die Beine strich, und richtete sich wieder auf, noch immer sichtlich die Wirkung seiner Rede auf die Anwesenden genießend, die ihn nach wie vor sprachlos anstarrten. »Jeder Augenblick zählt.«
»Moment, Moment!« Rashids Rechte schnellte nach vorn, als wollte er ihm einen Kinnhaken versetzen, doch sie hieb lediglich in die Luft. »Das alles erscheint mir wenig sinnvoll. Wir haben nach einem verschwundenen Stein gesucht – und ihn endlich gefunden. Jetzt müssen die Eingekerkerten freikommen. Allein darum geht es doch! Wer sagt uns denn, dass ein fertiger Ring auch nur das Geringste an deren Situation ändern würde?«
»Mir gefällt diese Idee«, sagte Tante Pilar. »Der fertige Ring wird jedem klarmachen, dass unsere Lieben zu Unrecht eingekerkert wurden. Und Lucero mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, das würde er sich merken bis zum Jüngsten Gericht!«
»Ich bin auch dafür.« Lucia hielt Rashids schneidendem Blick mutig stand. Auch wenn sie ihn liebte, in diesem Augenblick sogar ganz besonders innig, weil er den Unmut, der in ihm herrschte, nicht in seinem Herzen verbarg, sondern ganz offen auf seinem Gesicht zeigte, so musste sie doch nicht in allem einer Meinung mit ihm sein. »Die Werkstatt meines Vaters steht dir zur Verfügung, Miguel!«
Rashids Augen verengten sich, als könnte er kaum fassen, dass sie ihm so unverblümt widersprach.
Brüsk wandte er sich zum Priester um. »Ich brauche Euch trotzdem noch, Padre. Allein!«, sagte er mit rauer Stimme. »Nicht alle Angelegenheiten lassen sich so einfach lösen, wie Ihr wisst.«
»Dann komm mit mir.« Padre Manolo öffnete die Tür zur Sakristei. Das Ziborium hatte er zuvor sicher im Tabernakel* verschlossen und den Schlüssel an sich genommen. Er beschloss, ihn künftig an einem Lederband um den Hals zu tragen, damit niemand mehr unbemerkt an die heiligen Gefäße kommen konnte.
»Euch anderen wünsche ich alles Glück dieser Welt«, rief er Lucia, Pilar und Miguel zu. »Wir sehen uns morgen, bevor der Prozess beginnt. Und habt mir bitte ein sorg sames Auge auf dieses ganz besondere Katzentier! Der heilige Franziskus, der alle Geschöpfe Gottes liebte, hätte sicherlich seine ganz besondere Freude an ihm gehabt.«
Sie hatten alle Lichtquellen entzündet, die in der ganzen Nachbarschaft aufzutreiben gewesen waren, und sie nach den Anordnungen Miguels in der Werkstatt platziert. Als er endlich mit dem Schleifen beginnen konnte, war es bereits Nachmittag geworden, und schon bald würde sich frühwinterliche Dunkelheit über die Stadt senken. Sorgsam verhängten sie die Fenster mit dicken Tüchern, damit kein verräterischer Lichtstrahl nach draußen drang und ihr Tun preisgab.
Miguel hatte sich bemüht, die Unruhe, die in ihm aufstieg, vor Pilar und besonders vor Lucia zu verbergen, doch vor sich selbst musste er einräumen, dass er gründlich unterschätzt hatte, was diese Aufgabe ihm abverlangte.
Im Tageslicht zu schleifen, war etwas ganz anderes!
Jetzt musste er gegen eine Vielzahl unbekannter Dämonen ankämpfen, die ihm zu schaffen machten. Miguel spürte, wie seine Augen brannten, wie die Nackenmuskeln sich mehr und
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