Die Nacht von Granada
dazu.«
»Müssen sie das nicht ohnehin? Hast du nicht den gewaltigen Scheiterhaufen gesehen, den man da draußen errichtet hat?« Niemals zuvor hatte Rashid so hart geklungen, so voller Hass und Verzweiflung. »Für wen, glaubst du, ist er gedacht? Für Lucero und seine Rotkappen gewiss nicht, obwohl sie es tausendmal verdient hätten!«
Keiner sagte ein Wort, nur Fuego stieß einen kurzen klagenden Laut aus, als hätte er jedes Wort verstanden.
Rashid fuhr zu ihm herum, als wäre er auf eine Viper getreten.
»Was seid ihr Christen nur für seltsame Wesen?«, schrie er. »Unschuldige Muslime wollt ihr verbrennen, weil unser Blut angeblich unrein ist und ihr uns beschuldigt, eure kostbare Religion zu schänden, aber eure heiligen Gebetsstätten lasst ihr von Tieren entweihen. Ich kann euch nicht verstehen!«
Er hob seine Hand, um den Kater zu vertreiben, was Fuego offenbar Angst einflößte, denn er rettete sich mit einem kühnen Satz mitten auf den Altar. Dabei stieß er mit dem Hinterlauf an das glänzende Gefäß, das dort stand, ein vergoldetes Ziborium, das mit lautem Getöse hinunterfiel, über die Stufen polterte und erst ganz zuunterst liegen blieb. Im Fallen war der Deckel weggesprungen und ein ganzes Stück weitergekollert.
Kreidebleich und zunächst unfähig, sich zu rühren, hatte der Priester dem Spektakel zugesehen.
»Das Allerheiligste!«, rief er mit brüchiger Stimme, so tief saß der Schrecken in ihm. »Und kein anderer als dein lieber Vater, Lucia, hat ihm dieses prächtige goldene Kleid verliehen. Zum Glück waren noch keine geweihten Hostien darin. Erst zum Weihnachtsfest wollte ich zu Ehren Jesu unser altes Ziborium durch dieses neue, vergoldete ersetzen.«
Er lief zu dem Kelch, hob ihn auf, prüfte ihn von allen Seiten und schüttelte beruhigt den Kopf, als er keinerlei Schaden entdecken konnte. Danach verschloss er ihn wieder mit seinem Deckel, um ihn anschließend an seinem Herzen wie einen kostbaren Schatz zu bergen, den er niemals wieder loslassen wollte.
»Seht doch nur!« Mit zitterndem Finger deutete Lucia auf den Steinboden. Die Zunge klebte ihr am Gaumen, so aufgeregt war sie auf einmal. Kälteschauer liefen über ihren Körper. Gleichzeitig begann sie vor Erleichterung zu schwitzen.
Durch das Licht des Glasfensters, das hoch über ihren Köpfen den heiligen Nikolaus in bunten Farben bei der Armenspeisung zeigte, fiel ein dünner Sonnenstrahl auf den blauen Stein und brachte ihn auf fast übernatürliche Weise zum Funkeln. Er war alles andere als perfekt, denn seine Verwandlung vom glatt polierten Stein hin zu einem mit glitzernden Facetten war noch nicht zur Gänze vollzogen, doch schon jetzt raubte seine Schönheit allen Anwesenden schier den Atem.
Für einen Augenblick war es vollkommen still im Kirchenschiff. Nicht einmal der Kater gab einen Laut von sich.
»Der Hyazinth!«, rief Miguel. »Das ist er. Ich erkenne ihn wieder. Onkel Gaspar hat also doch die Wahrheit gesagt!«
Lucia bückte sich und hob ihn behutsam auf. Kühl und glatt lag er auf ihrer ausgestreckten Hand.
»Wir bringen ihn zu diesem Inquisitor!«, rief Rashid erregt. »Dann muss er seine Schuld eingestehen und meine Familie und Antonio sofort freilassen.«
»Das wird er niemals tun«, erwiderte Pilar. »Denk doch nur einmal in Ruhe nach! Ganz im Gegenteil, Lucero würde alles daran setzen, den Stein ein zweites und damit endgültiges Mal verschwinden zu lassen. Die einzige Möglichkeit, die uns bleibt, ist der öffentliche Prozess. Daher wird Lucero morgen dort und nur dort unseren Fund zu Gesicht bekommen!«
»Sie hat recht«, sagte der Padre, der langsam wieder etwas Farbe im Gesicht hatte. »Wir konfrontieren ihn damit vor allen Leuten. Dann laufen seine hinterlistigen Schachzüge ins Nichts.«
Rashid wirkte noch immer nicht überzeugt, vor allem, als jetzt abermals Miguel zu sprechen begann und ihn dabei ansah.
»Ich hätte da eine noch viel bessere Idee«, sagte Miguel. »Hat Lucero nicht immer wieder so dringlich nach seinem Ring verlangt, als er deinen Vater verhaften ließ? Onkel Gaspar hat mir davon erzählt.«
Rashid machte eine stolze Kopfbewegung, so verhalten, dass man sie kaum bemerkte. Seine Miene verriet Skepsis und wachsende Abneigung.
»Dann soll er ihn doch haben!«, rief Miguel.
Alle starrten ihn ratlos an.
»Was soll das heißen?«, sagte Lucia schließlich. »Vater und Kamal sitzen im Kerker. Wer außer ihnen könnte das bewerkstelligen?«
»Ich.« Miguels Stimme klang
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