Die Nacht von Granada
mehr verhärteten, ja sogar die Sicherheit seiner geschickten Finger, auf die er stets so stolz gewesen war, erschien ihm plötzlich fraglich. Immer wieder musste er die Schleifmaschine anhalten, aus Angst, mit einer einzigen falschen Bewegung all das zu zerstören, was er in stundenlanger mühevoller Arbeit bereits erschaffen hatte.
Die blaue Rose wuchs quälend langsam – und selbst das nur, wenn er ihr rückhaltlos alles schenkte, was sein Herz und seine Handwerkskunst zu bieten hatten.
Pilar, Djamila und Lucia behüteten ihn jeweils auf ihre eigene Weise. Djamila hatte Safranhuhn geschmort und Mandelkuchen gebacken, damit er bei Kräften blieb, Pilar griff ab und an mit kräftigen Fingern in seinen verspannten Rücken und knetete ihn, während Lucia einfach bei ihm sitzen blieb, um ihm mit ihrer Anwesenheit Mut und Kraft zu schenken.
Wie sehr sie das anstrengte, merkte sie erst, als sie zwischendrin aufstand, um draußen frische Luft zu schöpfen, weil sie die Augen kaum noch offen halten konnte. Wind fuhr unter ihren Rock, Schneeflocken trieben ihr ins Gesicht, und beim Atmen drang ein Schwall kalter Luft in ihre Lungen, der sie zum Husten brachte.
Nach einer Weile hörte sie ein Maunzen neben sich. Fuego, der wie alle anderen die Werkstatt bisher nicht verlassen hatte, war ihr gefolgt und schaute zu ihr herauf.
Voller Rührung nahm Lucia ihn hoch und drückte ihre Nase gegen sein weiches Fell.
»Mein kleiner Held«, sagte sie. »Das werde ich dir nie vergessen! Doch was wird morgen sein? Ich hab solche Angst, Fuego!«
Tante Pilar musterte sie besorgt, als sie wieder hineinging. Der Kater folgte ihr auf dem Fuß.
»Wieso legst du dich nicht wenigstens ein Weilchen ins Bett?«, sagte sie. »So bleich und todmüde, wie du aussiehst!«
»Ich kann euch jetzt doch nicht allein lassen!«, wehrte sich Pilar.
»Wir sollten uns mit dem Wachbleiben abwechseln«, schlug Djamila vor. »Eine ruht sich aus, während die beiden anderen sich um Miguel kümmern, falls er etwas braucht.« Im Lauf dieses besonderen Abends hatten sie alle bisherigen Förmlichkeiten abgestreift. Jetzt gab es keinen »Señor Díaz« mehr, keine »Doña Pilar«, weder Tochter noch heimliche Geliebte, sondern nur noch vier zutiefst besorgte Menschen, die eine Zwangslage fest zusammengeschweißt hatte.
»Das gefällt mir!«, rief Pilar. »Und Lucia soll gleich den Anfang machen. Du gehst hinauf und streckst dich aus, und wir wecken dich, wenn wir dann ebenfalls Ruhe brauchen!«
Lucia schämte sich fast, wie erleichtert sie darüber war, zumindest für einige Zeit der fast unerträglichen Spannung entfliehen zu können, die in der Werkstatt herrschte. Miguel verstand sein Handwerk, das wusste sie inzwischen, aber konnte er in dieser kurzen Spanne auch nur annähernd die Perfektion Kamals erreichen?
Diese und unzählige andere Fragen wirbelten in ihrem Kopf, als sie sich hingelegt hatte, in Kleidern, um bei Bedarf schnell wieder aufspringen zu können, und mit Fuego eingerollt auf ihren Beinen, der bald friedlich zu schlummern schien.
Irgendwann musste sich der Schlaf auch über sie gesenkt haben, denn als ein irritierendes Geräusch sie weckte, erwachte sie nur mühsam aus einem Wirrwarr von Traum und Albtraum. Bis auf ein kleines Öllicht neben der Tür, das fast heruntergebrannt war, war es dunkel in der Kammer, doch als sie lauschte, erkannte sie eindeutig die Atemzüge eines Menschen!
Sie war nicht länger allein. Fuego sprang auf, lief ein Stück und begann dabei zu fauchen, dann aber kam er mit hochgestelltem Schwanz zum Bett zurück, als ob er ihr etwas melden wolle.
»Rashid?«, flüsterte Lucia mit klopfendem Herzen. Konnte sie nicht auch jenes leicht bittere Aroma riechen, das sie seit Neuestem mit ihm verband?
»Wen sonst hast du nachts in deiner Schlafkammer erwartet?« Jetzt saß er an ihrem Bett.
»Die anderen sind alle unten«, stieß sie erschrocken hervor, obwohl gleichzeitig alles in ihr jubelte.
Er war gekommen! Das bedeutete, dass er ihr nicht länger grollte.
»Ich weiß«, sagte er leise. »Schafft er es denn?«
»Ich hoffe es sehr. Natürlich fehlt Miguel die lange Erfahrung deines Vaters. Aber er tut alles, was er kann. Schon allein wegen Nuri …«
»Sie wird niemals einen Christen heiraten«, sagte Rashid brüsk und rückte ein Stück beiseite. »Nicht, solange ich das verhindern kann.«
»Und wenn nicht? Sollte das nicht allein Nuris Herz entscheiden?«, sagte Lucia. »Aber jetzt müssen wir sie erst
Weitere Kostenlose Bücher