Die Nacht von Granada
wissen, dass sie das Beutelchen mit den geheimnisvollen roten Beeren neben ihrem Bett gefunden hatte. Ob Rashid es dort verloren oder absichtlich für seinen Rivalen zurückgelassen hatte, spielte jetzt keine Rolle mehr. Djamila hatte zu ihrer Überraschung gewusst, wie man es zubereitet, und sie hatten ausnahmslos alle von der bitteren Flüssigkeit getrunken.
»Die Zarge für den Stein ist fast fertig getrieben.« Miguel setzte den Hammer zu einem neuen Schlag an – und traf daneben.
»Pass bloß auf!«, rief Pilar, »und zerstöre nicht im allerletzten Moment dieses Kleinod, das uns alle an den Rand des Wahnsinns getrieben hat!«
»Keine Angst! Ich passe auf.«
Der nächste Schlag saß, ebenso der allerletzte. Miguel griff nach einem ovalen Blutstein* und polierte mit dessen glatter Fläche Hyazinth und Goldrand. Dann steckte er sich sein Meisterwerk an den rechten Mittelfinger.
»Licht!«, befahl er und Lucia und Djamila befreiten die Fenster der Werkstatt von ihren provisorischen Verhüllungen, bevor sie näher traten.
»Der Ring des Inquisitors!«, rief Miguel. »Jetzt soll Lucero bekommen, wonach es ihn so gelüstet hat!«
Im ersten Sonnenschein war der Effekt überwältigend.
Sobald er die Hand bewegte, nahmen die frisch geschliffenen Facetten das einfallende Licht auf und reflektierten es unterschiedlich. Kein glatter, polierter Stein mehr – sondern ein Meer aus funkelndem Blau, gebettet in strahlendes Gold.
Tante Pilar klatschte in die Hände. »Lucero wird der Mund offen bleiben! Allerdings ist er so viel Schönheit gar nicht wert.«
»Hoffentlich gelingt unser Plan«, murmelte Lucia und musste an die Befürchtungen des Vaters denken, ebenso wie an Rashids düstere Prophezeiung von heute Nacht.
»Wir sollten vorher noch saubere Gewänder anlegen«, fuhr Pilar fort. »Damit wir vor Gericht nicht wie ein Haufen Bettler aussehen.«
»Soll auch ich ein christliches Kleid anziehen?«, wollte Djamila wissen. »Ausnahmsweise würde ich das sogar tun.«
Pilar nahm ihre beiden Hände und hielt sie fest. »Das solltest du besser bleiben lassen«, sagte sie entschieden. »Dein Auftritt dort könnte als Provokation aufgefasst werden.«
»Aber ich trage doch Antonios Kind«, rief die junge Maurin entrüstet. »Wir sind eine Familie. Soll ich jetzt plötzlich wieder nicht mehr dazugehören?«
»Natürlich gehörst du dazu! Und damit dem Ungeborenen und dir auch nichts zustößt, hütest du das Haus und erfrischst uns nach der Verhandlung mit einem guten Essen.«
Doch Djamilas verletzter Blick wollte Lucia nicht aus dem Kopf gehen, als sie hintereinander hinauf zur Alhambra stapften. Überfrierende Nässe hatte die Gassen rutschig werden lassen, und selbst Padre Manolo in seinen genagelten Stiefeln, der sich ihnen vor der Werkstatt angeschlossen hatte, murmelte ab und zu ein Schimpfwort, wenn er auszugleiten drohte. Der Wind hatte sich gelegt, doch die Luft, die in ihre Lungen drang, war eisig.
Die Puerta de la justicia * war streng bewacht, doch als der Padre vortrat und die Bewaffneten nach dem Prozess fragte, ließen sie die kleine Gruppe passieren.
Sie waren nicht allein gekommen.
Vor ihnen kleinere Grüppchen von Menschen, die offenbar dasselbe Ziel hatten.
Sie überquerten einen großen, gepflasterten Platz, dann erhob sich vor ihnen ein riesiges Gebäude.
»Die Festung«, murmelte Miguel beeindruckt. »Früher muss sie beinahe so etwas wie eine eigene Stadt gewesen sein.«
Wohin sollten sie sich wenden?
Keiner von ihnen wusste plötzlich noch weiter, bis Lucia auf einmal in einiger Entfernung ein paar Rotkappen entdeckte.
»Wo sie sind, kann auch Lucero nicht weit sein«, sagte sie. »Kommt, wir müssen uns beeilen! Die Glocken werden gleich den Mittag einläuten!«
Nur noch ein paar Schritte trennten sie von einem mächtigen Tor, an dem vier Soldaten postierten. Von den Rotkappen plötzlich keine Spur mehr; sie mussten einen anderen Weg genommen oder bereits nach drinnen verschwunden sein.
Vor einer riesigen steinernen Treppe holte Miguel den Ring aus dem Beutel, den er zu dessen Schutz mit weichen Tüchern ausgeschlagen hatte, und drückte ihn Lucia in die Hand.
»Dein Vater wird leben«, sagte er leise. »Ebenso wie Kamal, Saida und die wunderbare Nuri, die wir beide von ganzem Herzen lieben. An ihrer Stelle schenke ich dir diesen Kuss.« Sanft berührten seine Lippen ihre Stirn.
Lucia musste schlucken, um nicht auf der Stelle erneut loszuweinen. Sie drehte sich um und stürmte die
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