Die Nacht von Granada
einmal freibekommen. Morgen …«
»Ich glaube, ihr begeht einen verhängnisvollen Fehler!« Rashid war aufgesprungen und begann, mit großen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen. »Diese Ausgeburt der Hölle wird sich niemals von euch vorführen lassen, Ring hin oder her. Lucero ist listig wie ein Fuchs, verschlagen wie eine Hyäne und stark wie ein Krokodil. Der angeblich gestohlene Hyazinth ist doch nichts als ein Vorwand, um mit uns Mauren öffentlich abzurechnen!«
Genau das hatte ihr Vater auch gesagt.
Plötzlich war es, als griffe eine eisige Hand nach Lucias Herzen. Und wenn alles, was sie auf sich genommen hatten, vergeblich sein würde?
»Morgen wissen wir mehr«, sagte Lucia tapfer. »Warum bist du gekommen, Rashid?«
»Musst du das wirklich fragen?« Jetzt war er wieder bei ihr, näher als je zuvor. Sie spürte den Druck seiner Schenkel und wurde sich dabei gleichzeitig ihrer Schenkel bewusst, als seien sie auf einmal losgelöst von ihrem Körper.
Sein Atem dicht an ihrer Haut. Er griff nach ihrer Hand, hielt sie ganz fest, und Lucia ließ sie ihm.
Ihre Augen redeten mit Rashid in einer Sprache jenseits des Verstehens. Tief in ihr wurde es warm.
Dann senkten sich seine Lippen auf ihren Mund.
Der Kuss war lang und innig, zunächst nicht verlangend, nur tröstend und wärmend, doch schließlich veränderte er sich. Sie spürte, wie Rashids Zunge ihren Mund erkundete, immer kühner und leidenschaftlicher. Seine Hände behielt er schon lange nicht mehr bei sich. Wie zwei eigenständige Lebewesen empfand sie Lucia, die sie streichelten und an Stellen berührten, wo kein Mann sie bislang berührt hatte.
Schließlich stieß sie ihn liebevoll, aber entschieden zurück.
»Was hast du denn?«, sagte er keuchend. »Hab ich etwas falsch gemacht? Ich wollte unbedingt noch einmal bei dir sein, bevor …« Er verstummte abrupt.
»Bevor was, Rashid?«
»Je weniger du weißt, desto geringer die Gefahr für dich. Ich will dich da nicht mit hineinziehen.« Es klang abschließend.
»Aber ich stecke doch längst mittendrin«, rief Lucia und sprang aus dem Bett. »Also hör endlich damit auf, mich wie eine dumme Gans zu behandeln, die von nichts Ahnung hat!«
Rashid hatte sich ebenfalls erhoben. Keuchend wie zwei Kämpfer, die nach Atem rangen, standen sie sich gegenüber.
»Hat er dich vielleicht dazu gebracht?« Er machte eine Kopfbewegung in Richtung Tür. »Dass du mir auf einmal in allem widersprichst? Dann wird er mich kennenlernen. Ich traue diesem Christen nicht über den Weg.«
»Fängst du schon wieder damit an?«
»Sein Onkel war es schließlich, der unsere Väter …«
»Ich weiß!«, unterbrach sie ihn. »Aber was kann Miguel dafür? Er tut alles, um die Schuld Gaspars wiedergutzumachen. Es geht ihm nicht nur um Nuri. Ich bin ihm nämlich auch wichtig, falls dir das bisher entgangen sein sollte!« Es war ihr einfach so herausgerutscht.
Sein Gesicht verschloss sich augenblicklich.
»Wieso läufst du dann nicht auf der Stelle zu ihm hinunter und hältst ihm die Hand?«, sagte er grob.
»Stell dir vor, genau das werde ich jetzt tun!«
»Dann kannst mich für immer vergessen!« Rashids Stimme klang rau.
Lucias Augen verengten sich.
»Ich lasse mich von dir nicht erpressen!«, rief sie. »Schon gar nicht in dieser Nacht …«
Aufgewühlt lief sie zur Tür. Doch dann drehte sie sich noch einmal um. Rashid stand bereits an der Leiter, die über einen Zwischenboden hinauf auf das verschneite Dach führte.
Plötzlich fühlte sie sich ganz leer.
»Geh nicht so«, bat sie. »Mir zuliebe.«
Rashid schien mit sich zu kämpfen, schließlich kam er noch einmal zurück.
Seine Lippen streiften kurz ihr Haar.
»In ganz Granada kenne ich kein eigensinnigeres Mädchen«, hörte sie ihn murmeln. »Ach, was – in ganz Spanien! Womit habe ich das nur verdient?«
Damit drehte er sich um, erklomm die Leiter und war verschwunden.
Das Aroma von qavah erfüllte die Werkstatt. Gerade hatte Pilar die vierte Portion davon aufgebrüht und brachte sie zu Miguel.
Dessen Augen waren stark gerötet und winzig vor Müdigkeit, doch über sein stoppeliges Gesicht ging ein Strahlen.
»Ohne dieses Teufelszeug hätte ich niemals durchgehalten«, rief er, trank einen Schluck und verzog den Mund. »Es muss direkt von Satan kommen, denn es schmeckt so gallenbitter wie die Hölle, aber es macht dich hellwach, als müsstest du niemals wieder schlafen!« Er schüttelte sich.
Lucia sah ihn schweigend an. Er musste nicht
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