Die Nacht von Granada
immer hielt Lucia den Ring fest umklammert. »Eines Tages war der kostbare Stein verschwunden. Kamal und mein Vater wurden beschuldigt, ihn gestohlen zu haben, wurden verhaftet und eingekerkert. Doch keiner von ihnen hatte den Stein genommen, jemand anderes hatte ihn gestohlen und ihn in einem heiligen Gefäß in San Nicolás versteckt …«
»Nichts als unverschämte Behauptungen«, unterbrach sie Lucero. »Für die du büßen wirst, wenn du sie nicht sogleich zurücknimmst!«
»Jedes ihrer Worte ist wahr«, kam Miguel ihr zu Hilfe. »Ich kann beschwören, dass der Stein aus dem Ziborium gerollt ist.«
»Gott, der Herr, ist mein Zeuge!«, rief Padre Manolo mit seiner lautesten Predigerstimme, die bis in den letzten Winkel drang. »Das Mädchen hat die reine Wahrheit gesagt.«
»Das kann ich nur bestätigen«, schaltete sich nun auch Pilar ein. »Mit meinen eigenen Augen habe ich es gesehen.«
Für einen Augenblick wurde es still im Raum. Kein Laut mehr, nicht einmal Atemgeräusche waren noch zu hören.
»Und das soll der gestohlene Hyazinth sein?« Lucero hatte ein paar Schritte auf Lucia zu gemacht und starrte auf den Ring. Dann riss er ihn ihr plötzlich aus der Hand. »Ich erkenne ihn ja nicht einmal wieder!«
Blitzschnell hatte er sich den Ring über seinen Mittelfinger gestreift. Er saß wie angegossen, als würde er ihm schon seit jeher gehören. Die Facetten der blauen Rose funkelten und sprühten, als der Inquisitor die Hand langsam hin und her bewegte.
»Was mich nicht wundert«, ergriff Miguel das Wort und brachte das Kunststück fertig, gelassen und ruhig zu klingen. »Denn in der letzten Nacht habe ich sogar mein Augenlicht aufs Spiel gesetzt, um ihn exakt nach Euren Vorgaben umzuschleifen. Erkennt Ihr den Rosenschliff, umgeben von glänzendem Gold? Alles genau so, wie es sein sollte! Wir wollten Euch an diesem besonderen Tag nicht enttäuschen.«
Luceros dichte Brauen hoben sich angewidert. »Seid Ihr nicht Miguel Díaz, der Neffe dieses Gaspar Ortíz?«, sagte er drohend, ohne die geringsten Anstalten zu machen, den Ring wieder abzulegen. »Ein Gauner und Rosstäuscher, wie er im Buche steht!«
»Mein Onkel hat lediglich ausgeführt, was jemand anderes ihm aufgetragen hat.« Miguel sah ihn furchtlos an. »Nicht mehr und nicht weniger.«
»Eure dreiste Rede verrät, aus welch verworfenem Stall Ihr stammt«, fuhr Lucero ihn an. »Ohne jeglichen Funken Respekt der Heiligen Kirche gegenüber! Soll ich Euch auf der Stelle zusammen mit Eurem Onkel verhaften lassen? Ist es das, was Ihr anstrebt? Gründe dafür gäbe es jedenfalls überreichlich!«
»Lasst meinen lieben Vater frei, ich bitte Euch darum bei der Gnade des Herrn!«, rief Lucia, die angesichts seiner glühenden Blicke erneut Angst verspürte. Ihr Herz hämmerte. Sie musste sich zum Weiterreden zwingen. »Er hat nichts getan. Und ebenso wenig Kamal, seine Frau Saida und Nuri, ihre Tochter, die alle unschuldig sind. Ihr habt doch jetzt, was Ihr wolltet. Seid gnädig, Exzellenz, ich flehe Euch an!«
Lucero fuhr zu ihr herum. »Da haben wir ja gleich die ganze Bande von Übeltätern«, zischte er. »Der Neffe eines stadtbekannten Gauners, der sich ohne Erlaubnis an fremdem Eigentum vergeht. Eine Marranin, die heimlich ihrem alten Götzendienst anhängt. Ein ehemaliger Mönch, der sich inzwischen lieber mit den Moslems verbrüdert, als die Messe für anständige Christen zu lesen. Und allen voran als Rädelsführerin eine kleine Diebin, die auch noch die Frechheit besitzt, mit der Beute vor Gericht aufzutauchen und lauthals ihre Lügenmärchen aufzutischen! Was, glaubt ihr, werde ich mit euch anstellen?« Die Adern an seinem Hals traten hervor, so hassverzerrt war sein Gesicht. »Der Kerker ist noch viel zu schade für euch!«
Nuri begann haltlos zu weinen.
Saida sog scharf die Luft ein, als würde ihr der Atem knapp.
Lucia überlief es eiskalt.
»Erkennt endlich die Wahrheit an, Rodriguez Lucero!« Tante Pilar wirkte plötzlich ein ganzes Stück größer als sonst, so aufrecht stand sie im Raum. »Ihr habt die Falschen beschuldigt und gefangen gehalten. Sie sind allesamt unschuldig. Ihr müsst sie freilassen – sofort!«
Einige auf den Zuschauerbänken begannen zu scharren und zustimmend zu murmeln. Jetzt ruhten die erbarmungslosen Augen Luceros auf ihr.
»Kein Taufbecken dieser Welt vermag den hässlichen Geruch unreinen Blutes abzuwaschen«, zischte er. »Egal, ob maurisches oder jüdisches – ich kann es schon von Weitem
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