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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Nähe war.
    »Wer ist eigentlich dieser Doktor Gregory?« Wildgirl bleibt vor einer Reihe demolierter Automaten stehen. Zigaretten, Wasser, Nachtsichtbrillen. Die funktionieren alle nicht mehr, nur der Automat mit Doktor Gregorys Lösung ist beleuchtet und betriebsbereit. Mit dem kurzen Vorhang über dem Eingang erinnert er an einen altmodischen Passfotoautomaten. Außen ist ein großes Bild von dem allgegenwärtigen Doktor zu sehen. Vier Dollar für fünf Minuten.
    »Schon wieder der Typ von der Plakatwand. Wer ist das?«
    »Er ist ein Arschloch.«
    »Was für eine Sorte? Da gibt’s ja viele verschiedene.«
    Sie hat recht. Doktor Gregory ist ein Arschloch von einer ganz bestimmten Sorte. Er hat ein ganzes Imperium auf Angst aufgebaut. Er tut so, als wollte er helfen, dabei will er nur, dass in Shyness alles so bleibt, wie es ist, damit er weiter Geld machen kann.
    »Doktor Gregory meint, alle Jugendlichen hätten Probleme, und er preist sich als denjenigen an, der die Probleme lösen kann. Und das kostet natürlich.«
    »Na, ehrlich gesagt, die Jugendlichen, die ich hier bisher getroffen habe, waren schon ziemlich übel drauf.«
    »Nicht alle sind wie die Kidds. Doktor Gregory überzeugt die Eltern davon, dass ihre Kinder teure Zuckerersatzstoffe einnehmen müssen. Säuglinge, Kleinkinder und ältere Kinder, die gar keiner Bande angehören – solche, die eigentlich kein Problem haben. Und von Doktor Gregorys Medikamenten werden sie genauso abhängig, wie sie es von Zucker würden. Das ist noch nicht alles. Er will unbedingt alle in Shyness behandeln, auch Erwachsene.Gegen Depressionen, Lichtmangel, schlechte Laune, alles. Wenn es nach ihm ginge, würden wir alle Pillen schlucken.«
    Ich habe einmal einen Brief von Doktor Gregory bekommen, in dem er mir anbot, mich von ›psychosomatischer Hypertrichose‹ zu heilen. Ich habe den Brief zerrissen und in den Müll geworfen. Eine Woche später stand ein Typ mit Schlips und Kragen vor meiner Tür. Er hatte ein Klemmbrett in der Hand und behauptete, er betreibe Marktforschung für den Stadtrat. Ich habe ihn weggeschickt. Seitdem werfe ich die Briefe immer ungelesen in den Müll.
    Wildgirl beugt sich näher heran, um das Kleingedruckte an der Seite des Automaten zu entziffern. Eine Werbung für das Programm. Man muss für die Vollversion bezahlen: E-Book, Podcast oder DVD, was man will.
    »Dann ist Doktor Gregory also ein Pilz?«
    »Ein Giftpilz, ja.«
    »Ich will da rein.«
    Ich schnaube. Das hätte ich mir ja denken können!
    »Hey, für dich ist das vielleicht Schnee von gestern, aber für mich ist es faszinierend!«
    Mein Interesse daran, in Doktor Gregorys Automat zu gehen, ist gleich null. Doch Wildgirl steckt den Kopf durch den Vorhang und zieht an meiner Hand.
    »Der verpasst den Leuten eine Gehirnwäsche …«
    Schon hat Wildgirl mich hineingezogen. Sie drückt mich auf den Drehstuhl und setzt sich auf meinen Schoß, dann beugt sie sich vor, um Münzen in den Schlitz zu stecken. Die Kabine ist nicht für zwei gemacht. Auf einmal wird Doktor Gregory doch ganz interessant.
    »Sind wir besorgte Eltern oder gestörte Teenies?«, fragt Wildgirl. Wenn sie sich so auf mir bewegt, kann ich nicht richtig sprechen, geschweige denn vernünftige Entscheidungen treffen. Ich lehne mich zurück, bevor es peinlich wird.
    »Na gut, sind wir eben gestörte Teenies«, entscheidet sie ohne mich und drückt auf eine Taste. Vor uns sind zwei Lautsprecher, ein Bildschirm, ein Mikrofon und ein Ausgabeschacht. Mein Versuch, ein bisschen Abstand zwischen uns zu bringen, ist sinnlos, denn kaum flackert der Bildschirm auf, lässt Wildgirl sich tiefer auf meinen Schoß sinken. Fehlt nur noch das Popcorn.
    Doktor Gregory sitzt auf einer Parkbank vor einem Papphintergrund, der so aussehen soll wie ein Spielplatz. Seine Jeans ist so hoch geschnitten, dass sie ihm bis zur Brust geht.
    Hallo! Schön, dass du mal reinschaust. Ich bin Doktor Gregory. Berühre nun den Bildschirm für eine Diagnose.
    »Was sollen wir nehmen?« Wildgirl liest die computeranimierten Sprechblasen vor, die um den Doktor herumschweben. »Schlechte Gedanken, schlechte Taten oder schlechte Nachrichten?«
    »Schlechte Gedanken.« Wildgirl fühlt sich weich, heiß und schwer auf mir an.
    Das Licht wird leicht gedimmt und ein einzelner Strahler erleuchtet Doktor Gregorys Selbstbräuner-Gesicht.
    Bitte beantworte die folgenden Fragen ehrlich und sprich klar und deutlich.
    Bist du oft wütend und unbeherrscht?
    Wildgirl hüpft

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