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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Erinnerung, in der sie steckt, herausholen, zurück zu mir. »He, möchtest du ein paar von den abgedrehten Theorien hören?«
    »Was für Theorien?«
    »Na, woher die Dunkelheit kommt. Jeder hat eine Theorie dazu.«
    Wildgirl dreht sich zu mir und bringt ein schwaches Lächeln zustande. Ich werde sie nicht fragen.
    »Klar.«
    »Also dann. Die Apokalypse hat schon stattgefunden – obwohl sich niemand daran erinnern kann – und wir leben in der Hölle. Von allen möglichen Orten hat Gott ausgerechnet Shyness als Hölle auserkoren.«
    Jeder in Shyness kennt diese Theorien. Wir alle kriegen die Flugblätter. Wir alle hören die Megaphone der Seelenretter plärren, wenn sie mit ihren Heilswagen rumfahren. Wildgirl sieht interessiert aus, also erzähle ich weiter. »Die Dunkelheit ist die Strafe für unsere Sünden. Weshalb nur Shyness bestraft wird, kann niemand sagen. Man muss wohl glauben, dass die Leute in Shyness größere Sünder sind als woanders.«
    »Also, ich glaub nicht an Sünden und die Hölle. Für mich ist das eine Schwachsinnstheorie.«
    Wildgirl ist sich immer so verdammt sicher – noch etwas, was mir an ihr gefällt. In meinem Leben gibt es jede Menge Grauzonen. Ich kann nicht mit Gewissheit sagen, dass die Sonne nicht deshalb abgetaucht ist, weil ich etwas falsch gemacht habe.
    »Die Regierung versucht eine Lösung für die Erderwärmung zu finden und hat Shyness zum Testgebiet erklärt. Sie glauben, wenn sie die Erde einige Jahre invölliger Dunkelheit belassen können, wird sie sich so weit abkühlen, dass sich das Klima wieder umstellt.«
    »Das gefällt mir«, sagt Wildgirl. »Eine Verschwörung der Regierung, da bin ich immer dabei.«
    Jetzt bin ich mit meinen Theorien am Ende. Paul hat noch eine komplizierte auf Lager, in der bioresponsive Schilde und Außerirdische eine Rolle spielen, aber ehrlich gesagt, verstehe ich sie nur ansatzweise.
    Immerhin ist es mir gelungen, Wildgirl abzulenken. Sie nimmt ihre Umgebung wieder wahr: die Straßenlaternen, die verlassenen Gebäude und mich.
    »Worauf hast du jetzt Lust?«
    »Ich weiß nicht. Und du?«
    Vielleicht sollten wir eine Weile irgendwas Ruhiges machen. Etwas Ungefährliches. Wir könnten zu mir nach Hause und Musik hören. Würde sie sich was dabei denken, wenn ich vorschlage, zu mir zu gehen?
    »Weißt du, worauf ich Lust hätte? Ich will irgendwohin, wo es richtig cool ist, mit lauter Musik und vielen Leuten. Und ich will tanzen.« Wildgirls Gesicht leuchtet wie eine Discokugel. Die hat sich ja schnell erholt …
    Damit habe ich nicht gerechnet, aber wenn sie das will, weiß ich was. Falls Thom und Paul nicht doch noch im Diabetic aufgetaucht sind, nachdem wir weg waren, sind sie jetzt mit ziemlicher Sicherheit im Little Death. Wir müssen auf kürzestem Weg durch Shyness zurück in Richtung O’Neira Street. Ich frage Thom per SMS, wo sie gerade stecken, und bitte ihn, beim Little Death unsere Namen auf die Gästeliste setzen zu lassen. Wildgirl hält mich für einen kleinen Rockstar von Shynessund ich will sie ja nicht enttäuschen. Der Nachteil ist nur, dass ich sie Thom und Paul vorstellen muss. Ich weiß nicht recht, ob ich will, dass sie meine Freunde kennenlernt.
    Wir kommen an der Alibi-Agentur Quarrel vorbei, dann gehen wir die nächste Straße rechts rein. In der dunkleren Seitenstraße rückt Wildgirl wieder näher an mich heran. Ich fasse ihre Hand und hoffe, dass mir nicht auf einmal die Handflächen feucht werden. Wundersamerweise wehrt sie mich nicht ab, sondern verschränkt sogar ihre Finger mit meinen. Sie hat zwar schon mal nach meiner Hand gegriffen, aber da hatte sie ja auch Angst. Das ging jetzt einfacher, als ich dachte.
    »Glaubst du, die sind immer noch da?«
    »Wer?«
    »Die kleinen Koboldviecher.«
    »Kann schon sein.«
    Ganz bestimmt. Da ist ein dunkler Schatten auf einem Laternenpfahl, und auf einem Dach gegenüber sehe ich etwas hüpfen. Aber Wildgirl bemerkt sie wahrscheinlich nicht.
    Niemand weiß, wie die Koboldäffchen nach Shyness gekommen sind. Es gibt nicht viele Orte auf der Welt, an denen sie leben. Sie tauchten ungefähr zu der Zeit auf, als sich die Kidds zusammengetan haben, und seitdem sind sie hier. Alle glauben, dass sie auf die Kidds angewiesen sind, aber ich bin mir da nicht so sicher. Koboldäffchen sind klein und schnell, und sie können im Dunklen besser sehen als alle anderen Lebewesen. Es ist schon vorgekommen, dass ein Koboldäffchen jemanden angesprungen hat, ohne dass ein Kidd in der

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