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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nach dem Geschmack der Träumer, und außerdem ein gutes Versteck. Irgendwo hier drin spielt leise eine Band, schräge Impros mit psychedelischer Gitarre. Träumer-Rock ist mir nicht laut und zornig genug, aber manchmal höre ich so was ganz gern. Ich laufe mit Wildgirl quer durch den Raum.
    Neben einer Säule steht im Nebel ein freies Sofa. Wir setzen uns und Wildgirl sieht wie gebannt die Leute im Raum an. Sie hat die Gabe, alles um sie herum aufzusaugen, als gäbe es nichts anderes auf der Welt.
    Einem Jungen, der neben uns auf dem Boden sitzt, sinkt immer wieder das Kinn auf die Brust, seine Freundin hat sich schon neben ihm abgelegt. Hinter ihnen tanzen einige Leute so ungelenk und staksig, als würde ein Film in der falschen Geschwindigkeit abgespielt. Hinterden Tänzern sieht man ein Schlagzeug silbern glänzen und am Ende des Raums in der Ecke ist eine Bar. Der Barkeeper lehnt mit verschränkten Armen an der Wand, zu Tode gelangweilt. Träumer trinken nicht viel.
    »Das Land Nod«, flüstert Wildgirl.
    »Das Little Death ist speziell. Hier findest du alle möglichen Typen – Träumer, Zombies, Nekros. Hier gibt’s alles, nicht nur eine bestimmte Szene wie in den anderen Clubs.«
    Wildgirl kuschelt sich ins Sofa. Ich mache es mir auch gemütlich, während ich sie anschaue. Ich zwinge mich, die Fäuste zu öffnen. Unsere Gesichter sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Alles um uns herum erstarrt und es gibt nur noch uns beide im Raum, eingehüllt in den Nebel.
    »Auch solche wie dich?«
    Solche wie mich.
    »Nicht direkt. Ich hab in Shyness schon ein paar Leute getroffen, die so ähnlich aussehen wie ich, aber die sind alle nicht so … verändert.«
    Wildgirl hält meine Hand zwischen ihren Händen fest. Sie fährt mit den Fingern durch die dichten Haare auf meinem Handrücken. »Als ich dich das erste Mal gesehen hab, wusste ich sofort, dass du anders bist als alle, die ich kenne.«
    »Ich hab mir das nicht ausgesucht. Im Gegensatz zu den Träumern. Die haben selbst gewählt, wer sie sind.« Und wenn sie wollten, könnten sie wieder so sein wie vorher. Während es für mich wohl kaum einen Weg zurück gibt. »Ich sehe so aus, wie ich aussehe. Und ich benehme mich anders, ohne dass ich weiß, warum. Ichheule und meine Sinne sind schärfer denn je. Mir ist nie kalt und ich kann Flaschen mit den Zähnen öffnen.« Von dem Flaschentrick ist Thom immer wieder beeindruckt. Auf Partys stachelt er mich oft an, ihn vorzuführen.
    »Wann ist das so gekommen?«
    »Ganz allmählich. Wie die Dunkelheit.«
    Innerlich fühle ich mich nicht anders. Oder wenn, dann ist es schwer zu beschreiben – hier ist alles so kompliziert, dass ich keine Ahnung habe, wer ich an einem normalen Ort mit normalen Leuten wäre.
    »Du hast mir noch nicht alles erzählt. Längst nicht.«
    In diesem Licht sieht Wildgirl unglaublich aus, bronzefarben, wie von einem anderen Stern.
    »Das würde die ganze Nacht dauern«, sage ich.
    »Wir haben doch die ganze Nacht.«
    Da kann ich nicht widersprechen. Mit Wildgirl fällt es mir irgendwie leichter zu reden als mit anderen Leuten. Ich schaue auf unsere Hände. Langsam habe ich das Gefühl, dass sie sich mehr für mich interessiert als für Shyness. Ich habe sie nicht verdient.
    »Du siehst anders aus und du bist auch anders.« Während sie spricht, scheint sie gleichzeitig über ihre Worte nachzudenken. »Ich glaube, es gefällt uns, mit unserem Aussehen Aufmerksamkeit zu erregen. Aber gleichzeitig nervt es uns.«
    Kann schon sein. Durch mein Aussehen falle ich auf. Das hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil ist, dass man oft einen ausgegeben bekommt. Der Nachteil ist, dass meiner Meinung nach keiner versteht, was ich durchmache.
    »Ich will, dass die Leute mich ansehen«, fährt sie fort. »Ich ziehe mich entsprechend an, aber wenn sie mich dann ansehen, hasse ich sie dafür. Verrückt, oder?«
    Ein bisschen. »Heißt das, dass du mich hasst?«
    »Hä?«
    »Weil ich dich seit Stunden anschaue.«
    Da lacht sie und schlägt mir scherzhaft auf den Arm. Der Abdruck ihrer Finger brennt, bis er verschwindet.
    »Ich glaube, es ist in Ordnung, wenn man sein Aussehen einsetzt, aber man muss noch mehr haben, worauf man sich verlassen kann. Meine Mutter glaubt immer noch nicht, dass sich jemand aus irgendeinem anderen Grund für sie interessieren könnte. Und …« Ironischerweise sehe ich Wildgirl an und würde nichts lieber tun, als ihre weichen Wangen und die pechschwarzen Haare zu berühren. »…

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