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Die Nacht von Shyness

Die Nacht von Shyness

Titel: Die Nacht von Shyness Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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mit sich selbst oder vielleicht singt er.
    Ich gehe im Zimmer umher, streiche mit den Händen über das Sofa, die glatten Wände und die Vorhänge, bis ich zu den Geistermöbeln komme. Ich hebe den staubigen Zipfel eines Lakens an. Darunter verbirgt sich eine edle Vitrine aus poliertem Holz mit Glastüren und Messinggriffen. Sie ist wunderschön. Wie gern wäre ich täglichvon solchen Dingen umgeben. Unsere Möbel kommen alle von der Wohlfahrt. Auf der Vitrine sind eine Kristallschale mit vertrockneten Blumen, eine silberne Zange und ein umgedrehter Bilderrahmen.
    Ich nehme den Bilderrahmen und halte ihn in das spärliche Licht. Drei Menschen posieren unter einem großen Baum – ein Paar Anfang fünfzig, aneinandergelehnt, und etwas entfernt ein ungefähr fünfzehnjähriger Junge mit verschränkten Armen. Ich denke schon, es ist Wolfboy – eine jüngere, gelecktere Ausgabe –, bis ich eine vierte Person entdecke, einen kleineren Jungen, der im Baum hockt. Das ist Wolfboy: sommersprossig, lausbubenhaft und einfach zum Anbeißen. Der größere Junge muss Gram sein. Kein Wunder, dass ich sie verwechselt habe. Als ich genauer hinsehe, erkenne ich Spuren von Wolfboy in seinem Blick und seiner angespannten Haltung. Es ist offensichtlich, dass das Foto schon älter ist: Wolfboys Mutter trägt ein altmodisches Kleid mit Puffärmeln. Gram wäre lieber gar nicht da. Seine Mutter guckt sichtlich nervös zu ihm, während ihr Mann stur geradeaus schaut.
    Da höre ich Wolfboy im Flur. Ich lege das Foto zurück, lasse das Laken sinken und flitze zum Sofa. Wolfboy kommt mit einem Tablett herein und setzt sich neben mich. Seine Haare sind verdächtig ordentlich geworden, während er in der Küche war. Ich wische mir die staubigen Finger am Sofa ab.
    »Ich weiß nicht, wie du ihn trinkst.« Wolfboy gießt eine dicke dunkelbraune Flüssigkeit in winzige Kaffeetassen. »Hoffentlich schwarz, ich hab nämlich weder Milch noch Zucker.«
    Ich nehme einen Schluck und mache ein erschrockenes Gesicht, das Wolfboy zum Lächeln bringen soll. Klappt nicht.
    »Türkisch«, erklärt er.
    Trotz des bitteren Geschmacks trinke ich weiter – wenigstens etwas Warmes, das mich wachhält bis zum Sonnenaufgang. Oder bis die Sonne aufgehen müsste.
    Ich sehe mich noch einmal im Zimmer um. Wieder muss ich daran denken, wie schön die Straße ist. Bestimmt haben die Häuser alle einen Tennisplatz, Fernseher mit Flachbildschirm und weiß der Himmel was noch alles, und obwohl dieses Haus leer ist, riecht es nach Geld und Status.
    »Wohnst du hier ganz allein?«
    »Ja.«
    »Was ist oben?«
    »Alles Mögliche.«
    »Alles Mögliche?« Ich schneide eine Grimasse. »Geht’s auch ein bisschen ausführlicher?«
    »Mein Zimmer.«
    Er ist fast so einsilbig wie bei Ortolan.
    Ich trinke den Kaffee aus und schenke mir direkt noch einen ein. Dann lehne ich mich auf dem Sofa zurück und starre Wolfboy an. Er ärgert sich über mich, aber ich werde ihn nicht darauf ansprechen. Soll er es doch sagen, wenn ihm etwas nicht passt.
    Das Anstarren zeigt seine Wirkung, schließlich beugt er sich vor. »Willst du das wirklich machen?«
    »Was kann schlimmstenfalls passieren?«, frage ich.
    Wolfboy schnaubt nur und trinkt seinen Kaffee. Er sieht wirklich aus wie Gram, vor allem um die Augen.
    »Das ist doch ganz einfach. Wir suchen sie und verlangen dein Feuerzeug zurück. Wenn sie es nicht rausrücken, müssen wir mit ihnen kämpfen. Oder wir greifen sie aus dem Hinterhalt an und schnappen uns das Feuerzeug, ehe sie wissen, wie ihnen geschieht.«
    Wie ich rede! Ich hab noch nie mit jemandem gekämpft und weiß kaum, was ein Hinterhalt überhaupt ist . Aber einer von uns muss ja Feuer und Flamme sein. Wolfboy ist jetzt vielleicht ein großer Junge, aber ich hab den Eindruck, dass er sich seit Jahren viel zu viel gefallen lässt. Es ist nicht okay, dass er sich von den Kidds so einfach etwas wegnehmen lässt, was seinem Bruder gehört hat.
    »Wir brauchen einen besseren Plan. Ich hab jemanden angerufen.«
    »Mit jeder Sekunde, die wir nicht da draußen sind, wird es schwieriger, sie zu finden«, entgegne ich. Wenigstens redet er wieder mit mir.
    »Glaub ich nicht. Soweit ich weiß, schaffen sie ihre Beute normalerweise direkt nach Orphanville.«
    »Wohin?«
    »Nach Orphanville. Da leben die Kidds. Ein großer Hochhauskomplex. Von meinem Fenster aus kannst du ihn sehen.«
    Ich bin schon im Flur, bevor er die Chance hat mich zurückzupfeifen. Ich stelle mich taub. Ich komme an

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